Der Notstromgenerator

Notstromgenerator
Der gespendete Generator ist soeben eingetroffen.

 Der Hilferuf in der Dämmerung

Stromausfälle sind in Curahuasi leider sehr häufig besonders in der Regenzeit. Spätestens nach dem 3. Blitz bricht das städische Stromnetz zusammen und es bleibt meinst stundenlang stockdunkel. Zu Hause zünden wir schnell die Kerzen an oder wir gehen am Abend etwas früher ins Bett. Das Hospital Diospi Suyana mit seinen vier Operationssälen und fünf Intensivbetten ist jedoch immer auf Strom angewiesen. Und genau deshalb suchte ich ein ganzes Jahr lang einen Notstromgenerator auf Spendenbasis.

Ich klapperte die Minengesellschaften ab und warb immer und immer wieder für dieses Vorhaben. Am 19. Mai 2007 sprach ich auf der Jahrestagung der peruanischen Rotarier und bat um so eine Spende. Doch außer einem donnernden Applaus am Ende meines Vortrags kam nichts dabei heraus.

Als Dr. David Brady und ich jedoch am 22. April 2008 unseren Fall vor dem Direktorium der Deutsch-Peruanischen Handelskammer vortragen durften, waren wir uns eines positiven Ausgangs gewiss. Das Krankenhaus war ja nun in Betrieb. Wir hatten Tausende von Patienten behandelt. Nach 17 Fernsehreportagen über Diospi Suyana auf den peruanischen Kanälen und etwa 40 Artikeln in der Presse genoss das Missionsspital einen großen Bekanntheitsgrad. Und mit Pilar Nores de García als unserer Patin erfreuten wir uns sogar der Aufmerksamkeit des Präsidentenehepaars. Als ich meinen Vortrag beendet hatte, klatschten die Herren um den Tisch laut Beifall. Sie verkörperten einen nicht unbeträchtlichen Teil des peruanischen Bruttosozial produktes. Ich zweifelte nicht daran, dass sie einen Generator spenden würden. Schon aus Publicity-Gründen. Doch einige Tage später erhielten wir wieder eine Absage. Die Direktion der Handels- kammer hatte nämlich den Wert eines solchen Generator herausgefunden: 60.000 USD! Diese Summe war den Firmenchefs erheblich zu viel.

Eine Woche später war ich wieder in Lima unterwegs und klapperte verschiedene Behörden ab. Gegen zehn Uhr vormittags, ich saß gerade in einem Taxi, griff ich in mein Portemonnaie und hielt zufällig einen kleinen weißen Zettel in der Hand. Sechs Monate hatte ich ihn mit mir herumgetragen. Auf ihm stand die Adresse der peruanischen Firma Detroit Diesel MTU. Dieses Unternehmen stellte die Komponenten für Generatoren zusammen und verkaufte die Endprodukte, meistens an Minengesellschaften. In der Hoffnung auf eine Sachspende seitens einer Firma hatte ich diesem Stück Papier bisher keine Beachtung geschenkt. Unschlüssig drehte ich es zwischen den Fingern hin und her. Sollte ich vielleicht aufs Geratewohl dort anrufen? Was hatte ich schon zu verlieren?Auf meinen Anruf meldete sich ein gewisser Sr. Mayorga und wir vereinbarten einen Termin für 17 Uhr in seinem Büro.  Gegen fünf Uhr am Nachmittag verließ ich das Gesundheitsministerium in der Erkenntnis, dass ich den Besuch bei Detroit Diesel absagen musste. Es war ohnehin kaum mit einem positiven Ergebnis zu rechnen. „Es tut mir leid, ich schaffe es heute nicht mehr. Ich könnte kaum vor 18 Uhr bei Ihnen aufkreuzen!“

„Das macht gar nichts“, sagte eine freundliche Stimme im Hörer. „Wenn es sein muss, warte ich sogar zwei Stunden auf Sie. Kommen Sie ruhig vorbei!“ Man muss nicht sehr intelligent sein, um zu ahnen, warum jener Ingenieur so nett und zuvorkommend war. Er hielt mich für einen potenziellen Großkunden mit einer Menge Geld im Koffer und wollte sich das Geschäft nicht entgehen lassen.

Während meiner Fahrt im Taxi hing ich trüben Gedanken nach. Ein ganzes Jahr hatte ich nichts unversucht gelassen, um einen Generator aufzutreiben. Ich war letztendlich immer nur in Sackgassen gelandet, hatte nichts bewirken können. Es dämmerte bereits, als der Taxifahrer die Hausnummer 2020 in der Avenida Argentina erreichte. Ich zahlte den vereinbarten Preis und stieg langsam aus. Meine Stimmung befand sich auf dem Nullpunkt. Ich wusste, es war völlig sinnlos, ein peruanisches Unternehmen zu betreten, meine Hand aufzuhalten und „bitte, bitte“ zu sagen. Bestenfalls würde man mich drinnen nur auslachen. Ich stellte meine Notebooktasche auf die Erde und holte tief Luft.  Einem inneren Impuls folgend, fing ich an zu beten. Zwischen Autokolonnen hinter mir und der Umzäunung von Detroit Diesel vor mir stand ich auf dem Bürgersteig und rief mir laut meinen ganzen Frust von der Seele: „Gott, du weißt, ich habe alles versucht, ein ganzes Jahr lang. Ich habe keine Idee mehr. Bitte tu du ein Wunder!“
Herr Mayorga hatte tatsächlich in seinem Büro ausgeharrt und zu so später Stunde noch auf mich gewartet. Auch meinen 45-minütigen Vortrag verfolgte er, ohne zu murren. Kaum war ich fertig, entschuldigte ich mich bei ihm: „Sie haben sicherlich einen Kunden und keinen Bittsteller erwartet. Tut mir leid!“ – „Nein, nein, ich bin froh, dass ich Ihre Geschichte gehört habe. Mir bedeutet Gott auch sehr viel. Ich würde Ihnen gerne helfen. Die Frage ist nur, wie!“ Wir beide lagen offenbar auf derselben Wellenlänge. Wie ich hörte, war der Besitzer des Unternehmens ein recht schroffer und unnahbarer alter Mann von fast 80 Jahren. „Vielleicht sollten wir uns lieber an seinen Sohn wenden. Der wäre für Ihr Anliegen vielleicht etwas zugänglicher!“, meinte Herr Mayorga.

6. Juni 2008. Um drei Uhr in der Nacht brachte mich ein Fahrer die 125 Kilometer nach Cusco. Mit dem ersten Flugzeug ging es nach Lima und um zehn Uhr betrat ich das Büro des Firmeninhabers. Im fernen Curahuasi falteten in diesem Augenblick mehrere Missionare ihre Hände und beteten um Gottes Segen. Der alte Mann winkte mich herein und hatte nichts dagegen, dass ich mein Notebook auf seinem Schreibtisch aufbaute. Er kam sogar auf meine Seite und nahm neben mir Platz. Mit einem Kopfnicken forderte er mich auf, mit dem Vortrag zu beginnen. „Wissen Sie, Herr Salhuana“, sagte ich bedächtig, „ich habe mich ein Leben lang gefragt, ob es Gott überhaupt gibt. Und dieser Vortrag hier ist die Antwort!“ Da ich betont langsam sprach, zog sich meine Präsentation eine volle Stunde in die Länge. Trotz seines fortgeschrittenen Alters ließ seine Aufmerksamkeit aber nicht nach. In jedem meiner Vorträge habe ich versucht, in die Herzen meiner Zuhörer zu reden. Diesmal schien es mir wirklich zu gelingen. Carlos Salhuana räusperte sich vernehmlich. Er kam sofort auf das Wesentliche zu sprechen. „Dr. John, mein Sohn besitzt 25 Prozent der Aktienanteile unseres Unternehmens. Ich werde erst mit ihm reden und Ihnen dann innerhalb einer Woche unsere Entscheidung mitteilen!“
Vier Tage später klingelte mein Handy am Gürtel. Ich stand irgendwo im Spital und es dauerte einige Sekunden, bevor mir klar wurde, wer da eigentlich anrief. „Dr. John, hier spricht Salhuana. Ich will Ihnen nur sagen, dass wir den Notstromgenerator spenden werden. Ich hatte nach Ihrem Vortrag keine andere Wahl!“ Das Gespräch endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Ich sank auf einen Stuhl nieder und erinnerte mich sofort wieder an mein Gebet vor dem Firmentor. Mein Schrei zu Gott in der Dunkelheit war erhört worden. /KDJ

Interessante Anmerkung: Zu Weihnachten 2009 publizierte das Rotary Magazin eine Reportage von sechs Seiten über Diospi Suyana. Die Überschrift lautete: “Gott, bitte tu du ein Wunder!”

 

 

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