Wer befindet sich hier eigentlich total auf dem Holzweg?

Die ungewöhnliche Karriere des Marcos Acuña

Der Glaube an Gott ist etwas für alte Frauen. Das steht fest. Allerdings haben zu Weihnachten auch die Männer nichts gegen ein wenig Spiritualität. Und zur Hochzeit eignet sich eine ehrwürdige Kirche vorzüglich für die Zeremonie und die tollen Fotos danach. Deshalb verirren sich auch junge Leute in ein Gotteshaus. Einmal und nie wieder. Bei der eigenen Beerdigung ist man zwar im Kirchsaal dabei, aber nicht mehr live.

Es klopft an meiner Tür und Marcos Acuña tritt ein. Er will mir nur „Guten Tag“ sagen, aber aus dem kurzen Hallo wird schnell ein tiefes Gespräch. „Wie war das damals?“, frage ich den 29-jährigen und spitze meine Ohren.

Marcos liebt das geile Leben. Als Hippie nimmt er jeden Tag ganz locker. Am Morgen die Gitarre in der Hand, am Abend die Drogen im Kopf und nachts die Mädchen im Bett. Könnte das Leben schöner sein?

Die Straßen der Stadt Abancay sind sein Zuhause. An Kälte und Hitze gewöhnt sich Marcos im Laufe der Jahre. Im Einklang mit der Natur und ohne Pflichten und Verantwortung. Genial.

Viele Jahre lang hat der junge Mann kein Buch mehr zur Hand genommen. Lesen oder gar studieren verträgt sich nicht mit seinem coolen Lebensstil. Doch er benötigt immer dünnes Papier um seine Joints zu drehen. Und siehe da, er findet eines Tage im Haus seiner Eltern ein Buch mit rund 1000 feinen Seiten. Die perfekte Lösung für 1000 Marihuana Zigaretten. Er reißt das letzte Blatt heraus und beginnt seine tägliche Routine. Als er am sechsten Blatt zieht, fängt er unwirklich vorne an zu lesen. Auf Seite 1 steht unter der Überschrift „Genesis“ ein Satz, der seit Jahrhunderten Atheisten ärgert und Christen ermutigt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde!“

Marcos beginnt die ersten Sätze zu verstehen. Er setzt sich hin und liest weiter. Nach der ersten Seite folgt die zweite und die dritte. Der Hippie von der Straße gräbt sich in eine fremde Welt ein. Nach wenigen Wochen hat er die 1200 Seiten verschlungen, verinnerlicht und verstanden.

„Gott hat mich lieb!“ Wahnsinn. In seiner Freude kann der Ex-Junkie selbst die Penner in der Gosse umarmen. Damit hat Marcos nicht gerechnet, im Vertrauen auf Gott ergibt sein Leben plötzlich einen tieferen Sinn.

Vier Jahre studiert Marcos Theologie an einem Seminar in Lima. Seit 2015 ist er für Diospi Suyana in den Bergdörfern unterwegs und besucht ehemalige Patienten.

„Ich klopfe an viele Türen genau im richtigen Augenblick“, sprudelt es aus ihm hervor. „Oft rede ich mit Menschen, die just zu diesem Zeitpunkt am Ende aller Hoffnungen angelangt sind. Das passiert mir immer und immer wieder!“

„Kommt es vor, dass die Leute Dich unfreundlich abweisen?“, frage ich neugierig. „Fast nie“, antwortet unser Reisepastor fröhlich, „die Menschen empfangen mich mit dem größten Respekt und behandeln mich wie eine wichtige Persönlichkeit!“

Marcos hält den Daumen gerade nach oben. „Ich merke Gottes Gegenwart in meinem Leben. Es gibt nichts Besseres!“

Interessant, dabei sagt man doch, der Glaube an Gott sei etwas für alte Frauen. … Einmal und nie wieder in einem Gotteshaus. Bei der eigenen Beerdigung ist man zwar im Kirchsaal dabei, aber nicht mehr live. – Wer befindet sich hier eigentlich total auf dem Holzweg? Ist es Marcos Acuña oder sind es die aufgeklärten, emanzipierten, gesättigten und superschlauen Bewohner des Abendlandes? /KDJ

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