Vernadina

Am Abend in der Notaufnahme

Der urologische Assistenzarzt hat Dienst, aber die junge Frau auf der Liege leidet nicht an Niere oder Blase. Sie ringt vielmehr nach Luft. Er greift augenblicklich zum Handy und wählt die Nummer von Dr. Martina John. “Die Patientin hat einen Puls von 220 pro Minute und ist im Herzversagen”, ruft er in den Hörer, “was machen wir?” – “Gebt  ihr schon mal eine Dosis Lasix und Sauerstoff. Ich komme sofort!”

Die Missionsärztin ist wenige Minuten später zur Stelle. Die junge Quechua-Indianerin hat eine lange Reise aus der fernen Stadt Sicuani hinter sich. Seit einer Woche rast ihr Herz. Als die Angst zur Verzweiflung wurde, ist sie mit ihrer Familie von zu Hause aufgebrochen. Ihr Mann, die vier Jahre alte Tochter und ein Säugling. Gut sieben Stunden Fahrt durch die Anden. Jetzt sind sie in dem Krankenhaus, von dem man sich in Südperu soviel erzählt. Das Hospital Diospi Suyana.

“Ich kriege keine Luft mehr”, japst Vernadina. Ihr bläulicher Gesichtsausdruck wirkt gequält. Wegen der insuffizienten Herzleistung ist sie längst in ein fulminantes Lungenödem gerutscht. Das heißt, ihre Lungen sind mit Flüssigkeit vollgelaufen. Dr. John spritzt das erste Antiarrhythmikum in die Vene. Es folgt eine weitere Spritze zum Ausschwemmen der Flüssigkeit. Dann ein drittes Medikament, um den Herzschlag zu senken.

“Sie wird gleich kollabieren und muss beatmet werden” , denkt die Ärztin und ruft Dr. Malisi an. Als Anästhesist ist er für eine Notintubation genau der richtige.

So langsam entfalten die Medikamente ihre Wirkung. Der Puls entschleunigt sich auf 150. Der Narkosearzt unterstützt die Atmung der Patientin mit einer Maske. Die Sauerstoffzufuhr nimmt der Frau den starken Lufthunger. Sie fasst Mut. “Hier kann ich überleben”, schießt es ihr durch den Kopf. “Die Ärzte lassen mich nicht hängen!”

Nachts auf der Intensivstation scheiden die Nieren zweieinhalb Liter aus. Die Lungen werden endlich besser belüftet. Die Herzfrequenz sinkt im Laufe von Stunden in den Normbereich. Am übernächsten Tag wird die junge Frau auf die Normalstation verlegt und fünf Tage später entlassen.

Am Mittwoch kann sich unser kardiologischer Ultraschallexperte John Lentink das Herz genauer anschauen. An diesem Wochenende ist er mit seiner Familie von einem Aufenthalt im Ausland nach Peru zurückgekehrt. Wahrscheinlich funktioniert eine der Herzklappen nicht richtig. Die Messungen werden auf jeden Fall bei der Diagnosefindung helfen.

Nach der Behandlung. Das Herz ist immer noch groß, aber die Flüssigkeit konnte durch die Medikamente ausgeschwemmt werden.
Anästhesist Dr. Tobias Malisi hätte fast eine Notintubation vornehmen müssen.
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