Am letzten Wochenende bekamen wir zwei Notfälle ins Hospital eingeliefert, für die uns einfach die Worte fehlen. Wir haben lange überlegt, ob wir Euch diese Geschichten schreiben sollen. Jetzt haben wir uns für eine Fassung ohne Fotos entschieden, weil diese einfach zu schrecklich sind. Unsere diensthabende Ärztin hatte gerade ihren Nachtdienst begonnen, als ein Auto mit einer schwerverletzten Frau vorgefahren kam. Ein Ohr der Frau war fast abgerissen, in den Hinterkopf waren tiefe Wunden geschlagen. Ein Finger war fast abgerissen. Der Exmann dieser Frau wollte sie umbringen und hatte so immer wieder mit einem Stein auf sie eingeschlagen und zum Schluss versucht, sie im Fluss zu ertränken. Das Glück dieser Frau war wohl, dass ein Autofahrer die Situation bemerkt hatte, so dass der Täter von der Frau abließ und sie flüchten konnte. Schwerverletzt kam sie bis zur Straße, von wo sie ein Auto zu uns ins Hospital brachte. Der Exmann hat noch am selben Abend Selbstmord begangen. Die Frau musste bei uns mit cirka 55 Stichen genäht werden, wird aber „außer“ Narben keine äußeren Verletzungen davontragen. Von den inneren Verletzungen möchte ich gar nicht sprechen. Mit diesem Ausmaß an Gewalt sind wir bis jetzt noch nicht konfrontiert worden und auch wir müssen erst lernen mit diesen Situationen umzugehen.
Damit nicht genug. Kaum war diese Patientin versorgt, bekamen wir einen 26-jährigen Patienten aus dem nahe gelegenen Gesundheitsposten überwiesen. Dieser Patient hatte in der heißen Quelle bei Curahuasi gebadet und war dabei von einem herunterfallenden Stein eines Steinschlages am Hinterkopf getroffen worden. Er trieb zehn Minuten leblos auf dem Wasser, bis ihn seine Freunde aus dem Wasser zogen und in den Gesundheitsposten brachten. Von dort kam er direkt zu uns. Der Patient musste notfallmäßig intubiert und künstlich beatmet werden. Nach Durchführung einer Computertomographie zeigte sich eine ausgeprägte Schwellung des Gehirns. Es war klar, dass eigentlich die Schädeldecke das Patienten geöffnet werden müsste, um ihn zu retten. Für solch eine schwierige Operation haben wir aber keinen Spezialisten am Spital. Deswegen kontaktierten wir sofort einen Neurochirurgen aus dem 120 km entfernten Cusco. Unsere Bitte lautete, er möge doch kommen und die OP mit unserem OP-Team hier am Hospital durchführen. Der Arzt aus Cusco hatte aber „keine Lust“ zu kommen, wie er am Telefon verlauten ließ. Die einzige Hoffnung für diesen Patienten war also ein Transport nach Cusco, der nicht nur aufgrund seiner ausgeprägten Hirnschwellung, sondern auch aufgrund einer ausgeprägten Schädigung der Lunge als gefährlich einzustufen war. Die Kollegen aus Cusco schickten bald darauf einen Krankenwagen, um den Transport zu realisieren. Der Patient hat den Transport leider nicht überlebt. Für uns ist es manchmal schwer, Gottes Wege zu verstehen. Und auch wir können den Angehörigen nur Trost zusprechen, ohne ihnen den Sinn des Ganzen erklären zu können. Wir beten für die Angehörigen, dass sie die Situation annehmen und verarbeiten können und versuchen ihnen die Begleitung zu geben, die sie brauchen.
Timo Klingelhöfer