Eine Stunde im Wagen mit Dr. Jose V.

Lima im Stoßverkehr

Es ist 18 Uhr. Mein letzter Termin des Tages ist soeben zu Ende gegangen. Jetzt will ich zurück ins Gästehaus von Diospi Suyana. Vom Stadtteil San Isidro bis nach Surco sind es ziemlich genau 10 Kilometer. Ich stehe an der Straßenecke und verhandele mit einigen Taxifahrern. Von ihnen gibt es genug in Lima. Nach einer Reportage im Deutschlandfunk waren es schon 2014 zwischen 250.000 und 300.000. Die meisten natürlich illegal, das heißt ohne Lizenz. In New York sind es nur ein Zehntel so viel.

Die Fahrt durch Lima wird eine gute Stunde dauern. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 km/h könnte ich eigentlich auch zu Fuß gehen. Aber der Preis von 17 Soles, etwa vier Euro, ist mehr als akzeptabel. Und außerdem bietet ein Taxi mehr Sicherheit, denn Lima ist ein gefährliches Pflaster. Erst am Vortag wollte mir ein junger Mann mein Handy aus der Hand reißen. Reflexartig krampften sich meine Finger um das Telefon. Ich war stärker und der potentielle Dieb verschwand wieder in der Menge.

Es wird eine interessante Reise im Zeitlupentempo durch die endlosen Straßenzüge. Es dauert nicht lange und Jose V. und ich sind per Du. Eigentlich arbeitet er in Peru als Anwalt, aber da die Klienten nicht ausreichen, polstert er sein Gehalt mit Taxidiensten auf. Fast alle Taxifahrer Limas haben einen anderen Beruf erlernt.

Dank des Dauerstaus bleibt uns beiden im Wagen viel Zeit und Jose erzählt mir aus seinem Leben. Bald weiß ich eine ganze Menge über seine Familie, seine aktuelle Freundin und sein Weltbild. Ich höre gerne zu und stelle gelegentlich einige Fragen. Dann hält er sein Handy nach hinten und zeigt mir eine Reihe von Fotos. „Ja ihre Freundin ist wirklich hübsch“, beteuere ich. Jose freut sich und wendet sich wieder dem Verkehr zu. „Vielleicht lasse ich mich mal in Tarapoto nieder (Regenwald) und betreibe dann eine kleine Obstfarm!“ Dagegen habe ich natürlich nichts einzuwenden.

19 Uhr. Wir sind an einer Tankstelle angekommen. Jose wechselt meinen 100 Soles Schein (28 Euro) und wir reichen uns die Hände. „Bitte grüße noch meine Freundin und wünsche uns eine glückliche Ehe!“ Diesem Wunsch komme ich gerne nach. Jose drückt auf die Taste. Ich formuliere für meinen neuen „Freund“ eine Art Heiratsantrag, während er mit dem Smartphone filmt. „Jetzt muss ich aber los“, sage ich und verabschiede mich. Die Chancen, dass wir uns jemals wiedersehen, sind bei einer Viertelmillion Taxifahrern verschwindend gering. Es sei denn, ich rufe ihn an. Seine Visitenkarte mit allen Kontaktdaten hat mir Jose natürlich ausgehändigt. Also dann doch bis zum nächsten Mal!/KDJ

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