Die Geschichte hinter den Jugendfestivals von Diospi Suyana

Absolute Insiderinformation für Geheimnisträger

Auszug aus dem 4. Buch über Diospi Suyana. Es wird voraussichtlich im März 2025 auf den Markt kommen.
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Geheimcode: G – e – m – ü – s – e:  Als unser Frankfurter Kumpel Freddy Baumgart eine Gruppe von Jugendlichen um sich scharte, waren wir dabei. Unsere Rucksäcke packten wir hinten in den Kofferraum meines Renault 4 und zwei Freunde auf die Rückbank. Vorne auf dem Beifahrersitz saß mein Highschool Sweetheart Tina. Der Boden meines ersten Fahrzeugs war zugegebenerweise vorne rechts durchgerostet. Ein beachtliches Loch ermöglichte die direkte Überprüfung der Fahrbahnoberfläche ohne Außentermometer und teure Kameras. Aber da ich den roten Flitzer für nur 600 DM erworben hatten, hielten sich meine Ansprüche in Grenzen. In einem kleinen Konvoi von drei Autos fuhren wir durch die Nacht nach Calais, setzten mit einer Fähre über und kreuzten durch Südengland bis nach Cornwall. Am Ziel angelangt bauten wir sogleich unsere Zelte auf trotz Regen, Hunger und fröstelnder Kälte.

Das Greenbelt-Festival 1979 sollte bei uns einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Tausende Jugendliche aus allen Teilen Englands genossen zünftige Rockmusik, aber ohne Schnapsleichen und Drogentote. Stattdessen gab es Lebenszeugnisse von Ex-Junkies über die Kraft Jesu Christi, Diskussionsrunden über soziales Engagement von Christen mit dem Wunsch zu einer friedlichen Welt beizutragen. Tagsüber genossen wir im Gras die Sonne oder kauerten uns eng auf eng in einen der vielen Workshops. Nachts hüpften wir mit 17.000 anderen vor der Main Stage zu den Rockklängen englischer und US-amerikanischer Bands. Die New Wave Gruppe “After the Fire” hatte einige Monate zuvor mit ihrem Hit “Laser Love” die englischen Charts gestürmt. Aus den USA spielten sich Randy Stonehill und Larry Norman in die Herzen der Teenager und Twens. Letzterer hatte mit seinem Song “Why should the devil have all the good musik” die Marschrichtung vorgegeben. Musik, egal welcher Genre sei grundsätzlich neutral. Christen sollten Rockmusik einsetzen, um ihrem Glauben in der Generation der Blumenkinder Gehör zu verschaffen. Larry in schwarzem Lederdress und langen blonden Haaren kann rückblickend als der Vater des christlichen Rocks bezeichnet werden. Er war progressiv, aber tief gläubig. Wie zu erwarten stellten viele Kirchenoberen seine Integrität in Frage. Doch was gut ist, setzt sich durch.

„Fromme“ Musiker in der englischen und spanischsprachigen Welt verdanken dem Kalifornier viel, oft ohne es zu wissen. Einige dieser Bands bringen es heute mit ihren Liedern auf mehrere Hundert Millionen Klicks auf Youtube. Doch der Pionier der ersten Stunde war jener besagte Mann aus Los Angeles, der vor 50 Jahren die Saat aussähte, deren Ernte heute andere mit stolzgeschwellter Brust einsammeln. Die Musik ging seinerzeit in die Knochen und die Botschaft überzeugte: Gott verleiht unserem Leben einen tieferen Sinn. Rund um den Erdball schworen Hippies zuhauf den Drogen ab und wandten sich Jesus Christus zu. Ihre Bewegung nannte sich ”Jesus People”. Sie führte zur Gründung unzähliger Kirchengemeinden und brachte kaputte Familien wieder in Ordnung.

40 Jahre vergingen. Mein Sweetheart von damals wurde meine Frau. Die Länge meiner Haare reduzierte sich von 15 cm auf 15 mm, zumindest an den Stellen, wo ich noch welche hatte. Die unbeschwerten Jugendtage im Lande der Queen gehörten einer fernen Vergangenheit an. Leider!  – Als im November 2005 eine Reihe von Freiwilligen die Terrassen für ein Amphitheater mauerten, dachten Tina und ich allerdings schon an christliche Festivals in Curahuasi. Sozusagen klammheimlich und ohne großen Wind um die Sache zu machen. In den folgenden 15 Jahren arbeiteten wir unsere Do to-Liste ab. Nacheinander entstanden, Krankenhaus, Kinderclubs, Schule und ein Radiokanal. Alle Unternehmungen erfuhren megamäßig den Segen Gottes. Auf unserer virtuellen Liste strichen wir einen Begriff nach dem anderen durch. Schließlich blieb nur noch ein Projekt unerledigt übrig: Jugendfestival! Aber ohne Campingplätze im Grünen würde aus unserem „Woodstock 2.0“ nie etwas werden. Und weil mir diese simple Tatsache immer klar war, befand ich mich seit 2017 auf der Suche nach einem geeigneten Gelände. Ich möchte nicht übertreiben, aber ich habe sicherlich zehn Felder inspiziert. Große und kleine, mit und ohne Gefälle, in Curahuasi und außerhalb. „Für welchen Zweck suchen sie eigentlich das Gelände?“ Diese Frage hörte ich immer wieder. „Mal sehen“, äußerte ich mich kryptisch, „vielleicht könnten wir hier Gemüse für die Krankenhausküche anbauen!“ Die Preisvorstellungen der potentiellen Verkäufer lagen unverschämt hoch. Die Entfernung vom Amphitheater, dem Schauplatz der Konzerte, war meist zu weit und überhaupt kam ich bei der Suche nicht so recht vom Fleck.

Eines morgens brachte mich ein Fahrer in seinem Mototaxi von der Innenstadt Curahuasis zum Spital, zumindest sollte er das. Als das Dreirad von der Panamericana nach links abbog, um die steile Auffahrt zu bewältigen, machte das Ding plötzlich schlapp. Der Motor tuckerte ein letztes Mal und das wars. Da half kein Zureden und auch kein Tritt gegen die Karre. Allen Anschein nach, hatte sich der Motor verabschiedet. Vielleicht sogar für immer. Der junge Mann am Steuer drehte sich um und entschuldigte sich. Ich öffnete gelassen die Klapptür und schlüpfte nach draußen. In diesem Moment fiel mein Blick auf Sr. Lino Perez. Er betreibt seit Jahren ein Restaurant an der Straße. Da er unmittelbar vor mir stand, sagte ich „Buenos Días“ wie sich das für einen anständigen Menschen wie mich gehört. Was dann passierte, kann ich gar nicht so recht erklären. War es ein Gedankenblitz? Eine Eingebung oder beides, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall initierte ich eine meiner zielorientierten Konversationen von vielleicht zwei Minuten. „Sr. Perez, schön das sie gerade hier sind“, äußerte ich mich, „wir benötigen ein größeres Feld unterhalb des Spitals, könnten sie mir bei der Suche helfen?“ – „Natürlich“, Lino Perez bekundete seine vollr Zustimmung. „Ich kenne so ziemlich alle Besitzer in der Gegend. Ich mache mich mal schlau!“ Wir verabschiedeten uns per Handschlag und ich schritt die letzten 300 Meter zum Hospital langsam nach oben. Ehrlich gesagt, war ich etwas erstaunt über meine eigene Anwandlung und außerdem überrascht, wir bereitwillig Perez auf mein Ansinnen reagiert hatte.

Perez hielt Wort und wann immer er von einem Grundstück hörte, brachte er den peruanischen handelsüblichen Preis in Erfahrung. Durch seine Kontakte ersparte ich mir den üblichen Gringo-Aufschlag für Ausländer. Mit Hilfe meines Unterhändlers kamen wir ziemlich schnell zu Potte. In der dritten Januarwoche 2022 vermachten uns die sieben Erben der Familie Gamarra ein Areal von 8 600 m2. Es war flach, schön und ideal für einen Campingplatz. Die Entfernung vom Spital könnten Jugendliche locker in 15 Minuten zurücklegen. Und dank Perez war der Preis mehr als akzeptabel.

Auf der Webseite philosophierte ich über den zukünftigen Anbau von Kartoffeln, Bohnen, Tomaten, Zwiebeln, Mais und Erdbeeren. Etwas vollmundig verkündigte ich: „So entsteht ein weiterer Arbeitsplatz und die langfristigen Ausgaben der Krankenhauskantine können gewaltig reduziert werden!“ Nun ich wollte die Möglichkeit einer Gärtnerei wirklich nicht ganz ausschließen, aber wie schon erwähnt, dachte ich tief drinnen an einen Campingplatz für etwaige Festivalbesucher. Mit dieser Aquise war ein Anfang gemacht und Tina und ich fingen an immer mal wieder von einem Festival zu schwärmen. Wir dachten an ein mehrtägiges Highlight mit Konzerten und Workshops. Der beste Zeitpunkt, wäre unserer Meinung nach das Aprilende unmittelbar nach dem Abflauen der Regenzeit. Am 1. Mai, der auch in Peru als Tag der Arbeit gefeiert wird, könnten die Jugendlichen wieder die Heimreise antreten.

Kam der Juli 2022. An einem Sonntagnachmittag brachte ich das Thema wieder aufs Tablett. „Tina sah mich kurz an und schüttelte den Kopf. „Wir sind viel zu spät dran“, bemerkte sie, „8 Monate an Vorbereitungen reichen nie im Leben. Vielleicht ließe sich etwas für 2024 arrangieren, aber sicherlich nicht mehr für 2023!“ Es wurmte mich, dass Tina sich so besserwisserisch aufspielte. „Weiß Du was“, antworte ich, „ich schreibe mal einen Projektentwurf!“ Mit diesen Worten verschwand ich in meinem Büro und fuhr den Laptop hoch.

Nach der Planung für ein “Krankenhaus” im Jahr 2002 und einem Projektentwurf “Schule” im Jahr 2010 sowie dem Medienzentrum 2015 ging es wieder um ein ganz großes Ding. Ich träumte von einem Jugendtreffen über fünf Tage und Tausenden Teilnehmern. Unterkunft, Verpflegung und Programm alles inbegriffen. Etwas in dieser Größenordnung hatte es in Peru noch nie gegeben und da wir den Umfang dieses Mammutvorhabens gar nicht einschätzen konnten, tippte ich gelassen große Sätze in meinen Computer. Zwei Wochen später, wir befanden uns schon im August, reichte ich Tina ein Manuskript von 14 Seiten. Meine Ideen waren wahrlich keine ausgefeilte Doktorarbeit, sondern Ausdruck meiner unbändigen Hoffnung in wenigen Monaten ein Großevent auf die Beine zu stellen, das menschlich gesehen nicht machbar wäre.

Tina lag neben mir im Bett und las meinen Text, den ich gewissermaßen im Hauruck-Prinzip zu Papier gebracht hatte. Während sie sich schweigend durch das Konzept arbeitete, versuchte ich ihren Gesichtsausdruck zu studieren. Aber sie zeigte keine Regung. Hop oder top? Vierzig Jahre zuvor hatte Tina in Taizé an einem Schweigeseminar mitgemacht. An die Regeln von damals schien sie sich zu halten und spannte mich damit mächtig auf die Folter.

Endlich schob sie die Blätter auf einen Stapel und nickte: “Ja, so könnte es funktionieren!” Das war alles, was sie sagte, aber für mich mehr als ausreichend. Mit Gottes Hilfe würden wir in politisch unsicheren Zeiten ein Festival planen ohne Vorlage, ohne Muster und ohne Erfolgsgarantien. Ein intensiver Nervenkitzel machte sich bei mir breit, der sich bald für andere als höchst ansteckend erweisen sollte. Und auf unerklärliche Weise fühlte ich mich um zehn Jahre jünger und schlagartig voller Tatendrang. /KDJ

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