Außer mir selbst selbst natürlich
Es ist Mittwoch, der 13. November. Heute Abend werde ich den letzten Vortrag meiner Reise durch England halten. Die Castlegate Church in Dudley südlich von Birmingham hat mich eingeladen. Ich kenne weder den Pastor Craig Bennett noch seine Gemeinde persönlich. Der Kontakt lief über einen Dritten.
Eine halbe Stunde kurve ich durch die Stadt. Einige Baustellen machen mir das Leben schwer. Schließlich finde ich für meinen Wagen einen halbwegs legalen Parkplatz und mache mich zu Fuß in jene ausgewiesene Seitenstraße. Vorbei an einem afrikanischen Laden. Auf der Straße stehen Gestalten, denen ich ohne Straßenbeleuchtung nicht gerne begegnen würde. „Castlegate Church“ – ich bin da.
Es wird eine unvergessliche Veranstaltung. Pastor Craig (hier sind alle per Du) war gerade in Argentinien und hat dort gepredigt. Doch jetzt ist er zurück und wechselt mit mir einige Worte. „Ich war ein Heroinabhängiger, ein totaler Loser“, sagt er mir, „für mich gab es keine Hoffnung mehr!“ Der junge Mann um die vierzig hat meine totale Aufmerksamkeit. „Dann habe ich mal bei einem Typen übernachtet. Und zur Unterhaltung hat er mir ein Comic Heft zugeworfen. Mein Gastgeber hatte mit dem Glauben nichts zu tun, aber in diesem Comic tauchte plötzlich Jesus aus dem biblischen Buch der Offenbahrung auf und plötzlich haute es mich um. Ich wusste und fühlte es augenblicklich, Jesus Christus ist real, er wird für mich zur alles entscheidenden Person meines Lebens!“
Der Gottesdienst beginnt. 45 Leute singen aus voller Kehle und einige tanzen sogar. Neben mir fällt ein Jugendlicher während eines Liedes auf die Knie und erhebt seine Arme. Man kann die meisten Besucher als die Kaputten der Gesellschaft bezeichnen. Ausgebrannt, ohne Perspektive. Viele ohne Jobs und ohne Hoffnung. Das heißt, jetzt haben sie eine. Denn der Glaube erfüllt sie. Diese Männer und Frauen aus vielen Nationalitäten haben es persönlich erfahren, dass Kirchen die Wartesäle des Himmels sind. Gott will ihnen helfen, sie heilen und erlösen.
Nach meinem Vortrag umarmen mich die Menschen. Ein Bäckergeselle will mir eine ganze Tüte Brötchen in die Hand drücken. „Nein, ein Brötchen reicht mir“, sage ich und bedanke mich artig.
Donnerstag, der 14. November. Nach 17 Stunden Fahrzeit und einer Überfahrt über den Kanal komme ich spät in der Nacht in Wiesbaden an. Auf meinem Handy entdecke ich eine Voicemail von Craig. „Klaus, wir wollen Dir für Deine Ausgaben eine persönliche Spende übermitteln, wie lauten Deine Bankdaten?“
Das Geld ist da. Es deckt die Kosten aller Mahlzeiten, die in den zehn Tagen in England für mich angefallen sind. Ich bin richtiggehend beschämt. Es war für mich eine große Ehre, zwei Stunden bei diesen Menschen zu verbringen. Denn wo die Verzweifelten nach Gott rufen, genau dort ist er. Und ein Wartesaal Gottes ist nichts anderes als der Vorhof zum Himmel.
Ich wünschte, die Frommen in den wohlsituierten Kirchen dieser Welt und die „Hoffnungslosen“ auf den Vorstandsetagen, die Gott nicht auf ihrer Rechnung haben, die gutaussehenden Influencer auf Youtube, die vom wahren Leben keine Ahnung haben und die Orientierungslosen, die nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, die würden einen Abend in der Castlegate Church von Dudley verbringen. Dort, wo Craig, der Pastor noch der normalste ist (außer mir natürlich) und die Gegenwart Gottes den Raum erfüllt. /KDJ