Gemurmel im Patientenzimmer

Erste Oktoberwoche kurz vor 9 Uhr am Morgen. In wenigen Minuten beginnt die Arbeit in der Ambulanz. Viel Zeit bleibt nicht für die Visite auf der Station. Der Wartesaal ist voll und in jedem Augenblick können Notfälle den Tagesablauf durcheinander bringen. Die Zeitspanne von 8 bis 10 Uhr im Spital entspricht dem Berufsverkehr auf der Straße in Europa. Es geht hektisch zu. Der Zeitdruck für die Ärzte ist spürbar.

Wie so oft in meinem Leben suche ich mal wieder meine eigene Frau im Spital. An der Schwesternstation ist sie nicht. Ich bin dankbar, dass die Krankenschwestern mir nun das richtige Patientenzimmer mit ihrem Aufenhalt verraten. 

Schon von der Tür höre ich ein leises Stimmengemurmel. Mein Blick fällt auf das rechte hintere Bett. Meine Frau und Dr. Ursula Buck sind ins Gebet vertieft. Eine Patientin sitzt zwischen ihnen und betet mit.

Könnte nicht der Krankenhausseelsorger diesen Part übernehmen? Die beiden Ärztinnen haben doch in ihren Sprechzimmern wirklich genug zu tun. Offensichtlich sehen diese Missionsärztinnen das völlig anders. Das Gebet und der ruhige Zuspruch für die Patienten haben höchste Priorität. Das wäre in Europa undenkbar.

Vor 21 Jahren saß ich in der Bibliothek für Medizingeschichte der Yale Universität. Der Bildband in meinen Händen enthielt Gemälde aus dem Mittelalter. Ein Bild werde ich nie vergessen. Es zeigte wie Chirurg und Patient gemeinsam vor der Operation zum Gebet niederknieten. Zu jenen Zeiten lag das Risiko bei einer Operation zu versterben bei gut 50 %. 10 Minuten vor OP-Beginn war sicherlich ein guter Zeitpunkt seinen Frieden mit Gott zu machen.

Vielleicht rümpft so manch aufgeklärte Europäer seine Nase. Dabei ist diese Zuwendung genau das, was unsere Patienten suchen. Aus allen Bundesstaaten kommen sie nach Curahuasi. Und sie haben fünf, sechs oder sogar sieben Hospitäler am Wegrand links liegen gelassen. Sie wissen instinktiv, dass der Patient mehr ist als Blutdruck und Puls, Laborparameter und Röntgenbild. – Heimlich mache ich ein Foto von der Szene und schleiche mich wieder aus dem Patientenzimmer. Hier will ich nicht stören. /KDJ

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