Eine kleine Leseprobe
Am Rande des Todes
Der Nebel hüllte die Serpentinen in ein undurchdringliches Weiß. Ich manövrierte meinen Wagen vorsichtig die endlosen Kurven den Pass hinauf. David Brady und ich hatten in Abancay mit den Beamten der Regionalregierung verhandelt. Unsere Hartnäckigkeit hatte sich wohl gelohnt, denn die Behörde wollte in Kürze mit der Zementierung der Auffahrt zum Missionsspital beginnen.
Gelegentlich flackerten verschwommen die Lichter entgegenkommender Fahrzeuge auf. Leider ließen sich diese gefährlichen Fahrten bei Nacht nicht immer vermeiden. Ich wischte die Windschutzscheibe mit der Hand und warf David neben mir einen vielsagenden Blick zu: „Wir werden bei diesem Wetter bestimmt eine Stunde länger nach Curahuasi brauchen als sonst“, meinte ich missmutig. Die Baumgrenze hatten wir längst unter uns gelassen und würden die Passhöhe in wenigen Minuten erreichen.
Die grellen Scheinwerfer näherten sich schnell. Der schemenhafte Umriss eines Lastwagens verließ die Innenkurve vor uns und nahm urplötzlich an Größe zu. Etwas war hier nicht in Ordnung. Die Lichtkegel des Lasters hatten uns eben passiert, aber etwas Dunkles kam rasend auf uns zu und versperrte uns den Weg.
Reflexartig zog ich meinen Allradwagen über die seitliche Begrenzung der Fahrbahn. Ich kannte jeden Meter der Straße und wusste, dass jenseits der Außenspur die Tiefe lauerte.
Der Aufprall mit dem Anhänger war hart. Ich erhielt einen Schlag von der linken Seite. Glassplitter wirbelten durch die Kabine und das Ächzen von Metall drang wie aus der Ferne an meinen Ohren. Es wurde wieder still, aber mein Auto rollte geradeaus weiter, in Richtung Böschung. David Brady saß wie gelähmt neben mir. Unendliche Augenblicke von wenigen Sekunden verstrichen. Schließlich gab David die rettende Anweisung, ohne zu wissen, ob ich überhaupt noch bei Bewusstsein war: „Klaus, bremsen!“
Mechanisch presste ich meinen rechten Fuß aufs Pedal. Das Fahrzeug kam zum Stehen, haargenau an Rande des Abgrunds. Wir hatten überlebt und das gleich zweimal unmittelbar hintereinander. Ein etwas anderer Winkel beim Zusammenstoß oder ein Sturz ins Bodenlose hätte zwei Witwen und 6 Halbwaisen hinterlassen.
Hier standen wir nun an der Unfallstelle bei Nacht, im Nieselregen auf 3700 Meter Höhe. Ungläubig starrte ich auf den Haufen Schrott vor mir, aus dem ich soeben nur mit größter Anstrengung über den Beifahrersitz entstiegen war. Nur meine linke Schulter schmerzte und etwas Blut rann meine linke Wange hinunter.
Gott hatte wohl seine Gründe gehabt, unser Leben am 16. Dezember 2008 zu verschonen. Vielleicht war einer dieser Gründe unser Auftrag die Geschichte von Diospi Suyana aufzuschreiben. KDJ