Wie kriege ich einen peruanischen Führerschein?

Auf die richtige Strategie kommt es an

Ein kurzer Auszug von der Webseite unseres Urologen Dr. Benjamin Zeier. “….Viele Geschichten ranken sich um die praktische Prüfung. Man muss auf einem abschüssigen Feld mit Schotterpiste einen Parkour abfahren. Die Kür ist im Vorfeld bis ins Detail vorgeschrieben. Und eigentlich dient dieser Parkour nicht dazu, die Fahrfähigkeit zu prüfen. Vielmehr ist die Treckpiste auf Willkür ausgelegt. Ein fehlerfreies Absolvieren ist nahezu unmöglich. Der Prüfer kann entscheiden, ob er mehr sehen möchte oder nicht. Missionare, die jahrelange Fahrerfahrung in Deutschland hatten, waren vor mir schon bis zu viermal angetreten.

Bei der theoretischen Prüfung war mir etwas aufgefallen. Von Zeit zu Zeit stieg jemand vor dem Ministerium in Dienstkleidung aus und kam erstaunlich schnell dran. Ich dagegen saß noch immer auf der Mauer und wartete. Ein Polizist in voller Montur trat zum Examen an und kam direkt dran. Ein anderes Mal war es ein Mitarbeiter des Rathauses mit auffälliger Kleidung, die ihn eindeutig als solchen kennzeichnete. Und warum war Herbert mit seinem auffälligen Diospi-Suyana-Pullover direkt an der Reihe gewesen? Konnte es wirklich allein am äußeren Auftreten liegen? Ich plante ein soziales Experiment. Wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag, müsste ich zur praktischen Prüfung einfach in Arztkleidung erscheinen. Jeder sollte sehen, dass ich wichtig war. Wenn das Ganze nicht mehr war als ein Zirkus, wollte ich meine „Kür am Hochseil“ auch vorführen. Am Tag vor der praktischen Prüfung holte ich mir aus der Wäschekammer ein weißes T-Shirt mit aufgesticktem Diospi-Suyana-Logo, dazu eine weiße Hose und weiße Schuhe.

Fehlte nur noch das passende Namensschild. In der Mittagspause machte ich mich auf den Weg zu einem Schreibwarengeschäft, um mir das nötige Material für mein Namensschild zu besorgen. Ich druckte folgende Zeilen aus:

Dieses Namensschildchen muss einfach jeden schwer beeindrucken.

Médico Dr. Benjamin Zeier
Unidad de Vigilancia Intensiva
Ventilación mecánica, Comando Covid-19

Übersetzt bedeutet dies in etwa:
Arzt Dr. Benjamin Zeier, Überwachungsstation
Mechanische Beatmung, Comando Covid-19

 

 

…  Wenn meine Strategie aufgehen würde, wäre die Prüfung morgen lediglich eine Frage der Formalität.

Am nächsten Morgen um 4:30 Uhr stand ich in weiß verkleidet vor dem Hospital. (Nun fuhr ich 90 Minuten über die Berge nach Abancay). Punkt 6:00 Uhr wartete ich vor dem Transportministerium. Ich richtete mein selbst gebasteltes Schild zurecht, und dann ging die Vorstellung auch schon los. Entgegen aller anderen Wartenden stellte ich mich nicht in die Schlange, sondern eröffnete eine neue Schlange auf der anderen Seite der Tür. Schließlich war ich „wichtig“. Ich musste mir das Lachen verkneifen. Alle nahmen es ernst. Niemand fragte, was ich denn da eigentlich tat. Eine Frau fragte kurz nach, sah dann mein Namensschild und entschuldigte sich direkt. Ich erhielt sofort einen Coupon für die Prüfung um 11:00 Uhr.

Im Vorfeld hatte ich mich bereits ausführlich mit dem Parkcour beschäftigt. Andere Missionare vor mir hatten schon Vorarbeit geleistet und alle Fallen aufgeschrieben. Jetzt ging es darum, das Ganze am Vormittag noch mit einer Fahrschule auf einem Ackerfeld zu üben. In Peru tritt man zur Fahrprüfung mit seinem eigenen Auto an. Man fährt ohne Führerschein zur Prüfung und auch wieder zurück. Da ich kein eigenes Auto für die Prüfung hatte, musste ich mir eines bei einer „Fahrschule“ leihen. Der Fahrlehrer, also der Besitzer des Fahrzeuges, erklärte mir das Auto. Das ist die Schaltung, das ist die Handbremse, das ist die Wegfahrsperre. Es war so absurd, dass ich mir ständig das Grinsen verkneifen musste. Neben mir saß ein 25-Jähriger, der mich ständig „Kind“ nannte. Zirkusvorbereitung vom Feinsten. Der Trainingsparkour hatte es in sich. Nicht etwa, weil die Prüfungsaufgaben so schwierig waren, sondern vielmehr, weil die Schlaglöcher und Bodenrillen auf dem Acker ein Fahren fast unmöglich machten. Diese 1:1-Kopie des Prüfungsparkours konnte man gegen eine Gebühr von 10 Soles für 1 Stunde nutzen. Sie machten einfach aus allem Geld…!”

“… Der Moment der Prüfung war gekommen. Ausnahmsweise war ich vor dieser Prüfung nicht aufgeregt. Meine Verkleidung in Weiß saß perfekt. Insgesamt zierten 4 Diospi Suyana Logos mein Outfit. Man konnte aus allen Richtungen sofort erkennen, wo ich herkam. Endlich wurde mein Name aufgerufen. Vor dem Metalltor scharten sich fast 40 Leute. Jeder versuchte, einen Blick durch den Türspalt zu erhaschen, um das mysteriöse Spiel hinter dem roten Eingang mitverfolgen zu können. Ich fuhr mit dem Fahrschulauto langsam durch das Tor. Schließlich war ich an der Reihe. Ein neues Problem tat sich auf: Die Fahrzeuge wurden mit Kennzeichen registriert und durften jeweils nur einmal zur Prüfung verwendet werden. Der Inspektor am Eingang musterte das Fahrzeug. „Mit dem können Sie nicht zur Prüfung antreten, das war heute schon einmal da.“ Mein „Fahrschullehrer“ hatte wohl gewusst, dass sein Fahrzeug nur für eine Prüfung zugelassen war. Er hatte trotzdem 8 Personen mitgebracht. Das würde schon irgendwie funktionieren. Wenn ich eins aus der theoretischen Prüfung gelernt, dann Folgendes: einfach sitzen bleiben. Und genau das tat ich. Ich rührte mich kein bisschen. Der Inspektor kam nahe ans Auto. Er musterte mich und mein Namensschild. „Ich bin Arzt, ich warte schon seit 6:00 Uhr. Ich muss jetzt die Prüfung machen. Ich hab keine Zeit.“ Das leuchtete auf jeden Fall ein. Klar. Wer wichtig war, durfte nicht aufgehalten werden. Er winkte mich zu den Prüfern durch. Auch diese waren natürlich über das Problem informiert. Doch auch sie musterten mein Namensschild. Und anstatt mich nach dem Kennzeichen meines Fahrzeuges zu fragen, sagte er: „Welche Farbe hat Ihr Auto?“  – „Schwarz.“ Er trug die Farbe ein. Kein Problem. Ich konnte loslegen.

In aller Seelenruhe absolvierte ich den Parkour. Ich beobachtete den Prüfer während der ganzen Zeit mehr als er mich. Er schaute einem anderen Fahrzeug hinterher. „Lento“, ganz langsam, fuhr ich den Parcours ab, erst vorwärts, dann rückwärts. Dann senkrecht, dann seitlich einparken. Immer schön den Warnblinker anschalten und auf die Ampeln achten. Ich meisterte die Kür mit Bravour. Das konnte der Prüfer nicht auf sich sitzen lassen. Er frage nach: „Welche Stellung müssen die Vorderreifen haben, wenn man am Hang einparkt?“ Ich drehte mal nach links, dann nach rechts, dann geradeaus. „Ja, genau!“ Dann ging der Daumen seines Kollegen hoch. Ich hatte bestanden! „Wo kommen Sie her?“ Ich antwortete, dass ich aus Deutschland komme. Ihm war das große Logo auf meinem Oberteil nicht entgangen. Ganz offensichtlich kannte er die Segnungen, die Diospi Suyana diesem Bundesstaat und dem Land Peru gebracht hatten. Er murmelte leise irgendwas vor sich hin und ließ mich schließlich gehen. Ich stolzierte langsam über den Platz. Mein Experiment hatte volle Wirkung gezeigt.

Auf diesem Parkour wird die Spreu vom Weizen getrennt.

Nach mir versuchte der „Fahrschullehrer“ noch weitere Schüler zur Prüfung zu bringen. Doch jedes Mal, wenn einer mit dem Fahrzeug durch das Tor fuhr, wurde er umgehend vom Inspektor wieder rausgescheucht. Es gab ja schließlich keine Ausnahmen. Ich wartete derweil vor der Tür. Morgen könnte ich meinen Führerschein abholen, mit einer Kopie der Fahrzeugpapiere. Doch die gab es erst , wenn alle 8 Schüler durch waren. Ich wartete zwei Stunden in der brühenden Hitze im Auto. Dabei beobachtete ich das wilde Treiben und Hupen auf dem Feldweg davor. Rums. Ich blickte nach vorne. Ein anderer Fahrschüler hatte sein Auto rückwärts gegen das unsere gesetzt.

Sofort startete eine hitzige Diskussion. Mein „Fahrlehrer“ witterte seine Chance, noch ein paar „Extra-Soles“ abzupressen. Der Schüler musste auf jeden Fall finanziell für den Schaden aufkommen. Das Nummernschild war hinüber. Es wurde immer lauter. Schnell standen 5 Leute vor dem Auto, um den „Schaden“ zu begutachten. Ich konnte nur schmunzeln. Der „Fahrlehrer“ ließ erst locker, nachdem der Unfallverursacher 10 Soles herausgerückt hatte. Manche Regelungen im deutschen Straßenverkehr hatten doch ihre Berechtigungen.

Der ganze Zirkus hatte sich bis spät in den Nachmittag gezogen. Mir blieb nicht mehr viel Zeit. Um 17:00 Uhr musste ich zurück im Krankenhaus sein. Ich hatte Nachtdienst. Schlussendlich schaffte ich es gerade noch rechtzeitig….!” Benjamin Zeier

1 Antwort
  1. Christian

    Eine abenteuerliche Geschichte, das ist wirklich ein Zirkus.
    Trotzdem kann ich nicht umhin, bei dieser dreisten Geschichte des Missionars an den Film “Catch me if you can” zu denken.

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