Gnade mit den Gnadenlosen

Nelson Mandela lehrte der Welt eine Lektion in Sachen Gnade. Als er nach 27 Jahren Haft aus dem Gefängnis freikam und zum Präsidenten gewählt wurde, bat er seinen Gefängniswächter ihn auf der Plattform der Einführungszeremonie zu begleiten.

Dann ernannte er Erzbischof Desmond Tutu als Leiter eines offiziellen Regierungsgremiums, das den vielsagenden Namen trug, „Wahrheits- und Versöhnungskommission“. Mandela wollte das natürliche Muster von Rache überwinden, das er in vielen Ländern gesehen hatte, wo vormals unterdrückte Völker und Stämme an die Macht gekommen waren.

Für die nächsten 2 ½ Jahre hörten die Südafrikaner in diesen Anhörungen der Kommission Berichte von Gräueltaten. Die Regeln waren einfach. Wenn ein weißer Polizeibeamter oder Armeeoffizier freiwillig seinem Ankläger in die Augen schaute und sein Vergehen voll bekannte, konnte er für sein Verbrechen nicht verurteilt und betraft werden. Hardliner ärgerten sich sehr über diese offensichtliche Ungerechtigkeit Kriminelle laufen zu lassen. Aber Mandela beteuerte, dass das Land eher Heilung als Gerechtigkeit benötigte.

Bei einer dieser Anhörungen erinnerte sich ein Polizeibeamter namens Van de Broek wie er und andere Polizisten einen 18-jährigen Jungen erschossen und anschließend seine Leiche verbrannt hatten. Dabei hatten sie den Körper über dem Feuer wie ein Stück Grillfleisch gedreht. Acht Jahre später kehrte Van de Broek zum gleichen Haus zurück und griff sich den Vater des Jungen. Die Mutter wurde gezwungen zuzuschauen, wie Polizisten ihren Mann auf einem Haufen Holz festbanden, mit Benzin übergossen und anzündeten.

Im Gerichtssaal stockte allen der Atem, als der alten Frau, die erst ihren Sohn und dann ihren Mann verloren hatte, das Wort erteilt wurde. „Was wollen Sie von Mr. Van de Broek?“, fragte der Richter. Sie sagte, sie wolle, dass Mr. Van de Broek zu dem gleichen Ort zurückkehre, wo er den Körper ihres Mannes verbrannt hatte, um die Asche aufzusammeln, damit sie ihrem Mann ein anständiges Begräbnis geben könnte. Mit gesenktem Kopfe nickte der Polizist zustimmend.

Dann hatte die Frau aber noch ein weiteres Anliegen. Sie sagte: „Mr. Van de Broek hat meine ganze Familie von mir genommen und ich habe noch eine Menge Liebe zu geben.  Ich möchte, dass er zweimal im Monat zu mir ins Ghetto kommt und einen Tag mit mir verbringt, damit ich zu ihm eine Mutter sein kann. Und ich möchte, dass Mr. Van de Broek weiß, dass Gott ihm vergeben hat und, dass ich ihm auch vergebe. Ich möchte ihn jetzt umarmen, damit er weiß, dass meine Vergebung echt ist!“

Spontan stimmten einige der Zuhörer im Gerichtssaal das Lied „Amazing Grace“ (Wunderbare Gnade) an, als die alte Frau ihren Weg nach vorne zum Zeugenstand suchte. Aber Van de Broek hörte das Kirchenlied schon nicht mehr, er war völlig überwältigt ohnmächtig in sich zusammengesackt.

Weder an diesem Tag noch in den nächsten Monaten geschah in Südafrika Gerechtigkeit während der qualvollen Vernehmungen durch die Wahrheits- und Versöhnungskommission. Etwas anderes als Gerechtigkeit regierte. „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“, sagte Paulus. … Und dieses ist das Muster einer Gnade, die nicht von dieser Welt ist, die Jesus Christus in seinem Leben und Sterben gezeigt hat. Aus „A Sceptics Guide to Faith“ von Philip Yancey. Übersetzt von KDJ.

Click to access the login or register cheese