Vom 4. Advent bis Heilig Abend

Sonntag, der 20. Dezember

Meine Frau hat Dienst am Krankenhaus, aber alles ist ruhig. Vor dem Mittagessen laufe ich noch einmal ganz schnell auf den Hausberg von Curahuasi. Als ich zurückkomme, ist das Mittagessen im Familienkreis längst gestorben.

Ein Patient wurde mit einem schweren Schädelhirntrauma auf die Intensivstation eingeliefert. Also muss Tina für einige Stunden ihre ärztlichen Pflichten erfüllen.

Sonntag, der 20. Dezember

Unser peruanischer Mitarbeiter Freddy Alvarez heiratet in Abancay. Einige Kollegen machen sich also im Taxi auf um diesem Ereignis beizuwohnen. Der Wagen hat kaum Curahuasi verlassen, da werden die Insassen Zeugen eines schweren Unfalls.

Dr. Melanie Zeyse und Stefan Höfer sehen einen Mann auf der Straße liegen. Vielleicht haben sie sich an das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter erinnert, denn sie haken die Hochzeit ab und fahren mit dem Bewusstlosen sofort ins Hospital Diospi Suyana. Jetzt stehen Dr. Zeyse in ihrem schwarzen langen Kleid und Stefan Höfer im tadellosen Anzug neben dem Bett eines Halbtoten.

Sonntag, der 20 Dezember

Der Bus der Linie Huamanga hat Cusco fast erreicht. Nach gut 18 Stunden Fahrt von Lima Richtung Süden, liegen nur noch knapp drei Stunden vor dem Ziel. Der Busfahrer kann seinen Hunger nicht mehr zügeln. Er hält an und will sich auf der anderen Straßenseite einen Maiskolben kaufen. Der kleine Snack sieht gut aus. Vielleicht hat er einen Augenblick zu lange auf den Kolben geschaut, denn als er die Straße überquert, läuft er direkt in ein Taxi. Die hohe Geschwindigkeit des Toyotas schleudert ihn durch die Luft. Mit dem Kopf schlägt er auf. Wohl die letzte bewusste Wahrnehmung seines Lebens.

Sonntag, der 20 Dezember

Der Taxifahrer muss ins Gefängnis. Er hatte die vom Gesetz vorgeschriebene Autoversicherung (SOAT) nicht abgeschlossen. Jetzt ist er dran. Wohl unzählige Male ist er von der Polizei kontrolliert worden und hat wohl immer die Polizisten mit einigen Geldscheinen bestochen. Der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht. Jetzt hilft kein Geldschein mehr.

  

Sonntag, der 20. Dezember

Am Missionsspital wird eine Computertomographie durchgeführt. Sie zeigt multiple Schädelfrakturen und innere Blutungen. Eigentlich müsste die Schädelkalotte sofort eröffnet werden um den Hirndruck zu senken. Meine Frau ruft den Neurochirurgen in Cusco an. Er teilt ohne Erklärung mit, dass er nicht nach Curahuasi kommen wird.

Sonntag, der 20. Dezember

An Hand eines Passes wird die Identität des Fahrers festgestellt. Er wohnt in Lima und hat mehrere Kinder. Seine Kinder würden ihn im gegenwärtigen Zustand allerdings nicht erkennen können und er wird seine Kinder sicherlich nie wieder erkennen.

Montag, der 21. Dezember

Ein kleines, aber nicht unwichtiges Detail wird bekannt. Die Identität des Fahrers stimmt nicht. Er hatte gar keinen Führerschein und hätte den Bus niemals fahren dürfen. Der Pass in seiner Tasche gehört einem anderen.

  

Dienstag, der 22. Dezember

Überraschenderweise lebt der Patient immer noch. Eine erneute Computertomographie zeigt, dass ein Hämatom deutlich an Größe zugenommen hat.

Der Druck muss nun entlastet werden. Der Neurochirurg in Cusco wird telefonisch kontaktiert. Seine Antwort lautet unverändert: „Ich komme nicht!“ Da der Patient nicht verlegungsfähig ist, bleibt dem Allgemeinchirurgen Dr. Daniel Zeyse nichts anders übrig als das erste Bohrloch seiner Karriere durchzuführen. Die Operation gelingt.

  

Mittwoch, der 23. Dezember

Der Fahrer war von seiner Firma nicht korrekt angestellt. Er verfügt also über keine Krankenversicherung. Sein Zustand scheint eine Verlegung nach Cusco zu ermöglichen. Urologe Dr. David Brady wird den Krankenwagen also 3 Stunden nach Cusco hin und dann zurück fahren. Stefan Höfer sitzt neben dem Patienten, der die Höhenunterschiede in den Bergen kaum überlebt.

Mittwoch, der 23. Dezember

Dr. Brady und Stefan Höfer schaffen es dem Patienten im Versicherungskrankenhaus in Cusco ein Bett zu besorgen. Dabei hat er ja gar keinen Versicherungsschutz. Aber er wird Heilig Abend ohnehin kaum erleben, zumindest nicht bei Bewusstsein.

Donnerstag, der 24. Dezember

Allüberall ist es Weihnacht geworden. „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, das hatten die Engel verkündigt. Gott erscheint in einem Stall, weil hier auf dieser Welt vieles im Argen liegt. Die kriminelle Energie der Menschen erfordert die totale Investition der Liebe Gottes. Vom Stall geht es Jahre später ans Kreuz und drei Tage darauf ist ein Grab wieder leer. Und als Christus gen Himmel fährt, versprechen zwei Engel den Jüngern: „Er wird wiederkommen, wie ihr ihn gesehen habt!“

Curahuasi, der 24. Dezember

Herr Jesus, bitte komme bald! / KDJ

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