So oder auch ganz anders

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15. Oktober 2036

Schwester Petra reichte mir die Schnabeltasse und flößte mir etwas Wasser ein. Das tat gut. „Wenn Sie etwas brauchen, klingeln Sie einfach, dann komme ich“, sagte die Krankenschwester und ging nach draußen.

Erschöpft fiel mein Kopf wieder auf das Kissen. Heute war mein 76. Geburtstag und ich wusste, dass es mein letzter sein würde.
Meine Gedanken eilten zurück. Mit 66 Jahren hatten meine Frau und ich uns von Diospi Suyana gänzlich zurückgezogen, um den zukünftigen Leitern nicht im Weg zu stehen. Danach wollten wir eigentlich einen auf gemütlich machen, aber das Leben spielt oft anders. Ständig waren wir beide unterwegs und hielten Vorträge über den Glauben. Dabei ging es uns immer um den real erfahrbaren Gott. Noch hatten wir erstaunliche Energiereserven. Doch vor acht Monaten hatte ich ein leichtes Unwohlsein im Oberbauch verspürt. Als meine Augen schließlich gelb wurden, ahnte ich schon, wie die Diagnose heißen würde: Pankreaskopfkarzinom. Der Tumor in meiner Bauchspeicheldrüse war nicht operierbar und so hatte sich meine Lebenszeit auf wenige Monate reduziert.

Meine Sauerstoffmaske drückte in mein Gesicht. Aber ohne sie fehlte mir einfach die Luft. Wenn die Sauerstoffsättigung weiter abfallen würde, wäre ich am Ende angelangt, denn ich hatte mich klar gegen eine Intubation ausgesprochen. Ein Krebsbauch mit Metastasen in den Lungen und Knochen machte eine invasive Therapie sinnlos.

Um 11 Uhr kamen immer meine Frau Tina und die Kinder zu Besuch. Mit ihren 75 Jahren war sie noch erstaunlich bei Kräften. Sie brauchte auch keinen Stock. Allerdings würde sie heute die Stütze der Kinder nötig haben. Natalie, Dominik und Florian, in ihren Dreißigern und Vierzigern, waren vor einer Woche nach Deutschland geflogen. Sie arbeiteten alle bei humanitären Organisationen in Übersee. Einer von ihnen spielte sogar mit dem Gedanken, nach Peru überzusiedeln und bei Diospi Suyana einzusteigen. Ihre Ehepartner und Kinder hatten sie jeweils zu Hause gelassen. „Wir sehen uns ja wieder“, hatte ich ihnen versichert. „Spart mal die Flugkosten!“

Heute wollte Tina mit den Kindern um 9 Uhr vorbeischauen. Mit einem wehmütigen Glanz in ihren Augen hatte Tina gestern Abend beim Abschied gesagt: „Morgen komme ich besser mal zwei Stunden früher!“ Ich nickte und spürte instinktiv, dass es die richtige Entscheidung war. Meine Beine waren mit Ödemen massiv geschwollen, der Pleuraspalt zwischen Lungen und Brustwand mit Flüssigkeit vollgelaufen. „Soll ich noch einmal punktieren?“, hatte Internist Dr. Schreiber gefragt. „Nein, ich glaube es reicht“, so meine müde Antwort, „irgendwann muss Schluss sein und außerdem weiß ich ja, wohin ich gehe!“

Eine Uhr an der Wand zeigte halb Neun. Das Atmen fiel mir schwerer. In Sekunden oder waren es Minuten flogen meine Gedanken durch mein Leben. Natürlich hatte ich gehofft im nächsten Jahr mit meiner Frau die goldene Hochzeit zu feiern. Aber da war leider der Tumor dazwischen gekommen. Was hatten wir beide seit der Gründung von Diospi Suyana nicht alles erlebt. Im Missionsspital hatten unsere Ärzte schon über eine Million Patienten behandelt, die meisten von ihnen Quechua-Indianer aus den Bergen. Die Schule hatte ihre Kapazität längst erreicht. Ehemalige Schüler fanden gute Anstellungen. Einige arbeiteten sogar bei der Landesregierung in Abancay. Am meisten freute ich mich aber über das Diospi-Suyana-Medienzentrum. Die Satellitenübertragung funktionierte einwandfrei. Wir erreichten jeden Winkel Perus mit unserem christlichen Familiensender. Sogar in Bolivien und Ecuador konnten die Menschen unsere Frequenz empfangen. Über 100 Mitarbeiter tüftelten pausenlos an den Radio- und Fernsehprogrammen. Viel zu wenige in Anbetracht der täglichen Aufgaben.

Zehn vor Neun. In Peru war es jetzt kurz vor zwei Uhr in der Nacht. Meine Kinder hatten mir auf dem Tisch einen Laptop aufgebaut und aus den kleinen Lautsprechern ertönte das Internetradio von Diospi Suyana. Um diese Uhrzeit sendete unser Studio in Curahuasi christliche Musik auf Englisch. Wahrscheinlich blieben nur Jugendliche solange wach. Möglicherweise hörten einige Fernfahrer die Melodien in ihren Autoradios.
Jetzt erklang ein Lied aus alter Zeit. Gesungen von der Hillsong Gemeinde in Sydney. Ich hatte es so oft gehört „I love you“, eine Art Liebes- und Danklied an Jesus Christus.

Mit einem Mal war mir als füllte sich mein Krankenzimmer mit einem seltsamen Glanz. Ein helles Licht leuchtete durch die Tür und die Reflexe ließen Wände und Decke übernatürlich erstrahlen. Jetzt stand Er vor mir und winkte mir zu. Ich blickte auf die Nägelmale an seinen Händen und Füßen. Hinter Ihm entdeckte ich meine Eltern und mehrere Freunde und Verwandte, die schon lange vor mir diese Welt verlassen hatten.

Ich stieg aus dem Bett mit einer unglaublichen Leichtigkeit und eilte dem Licht entgegen. Endlich hatte ich das Ziel erreicht.

Krankenschwester Petra warf einen prüfenden Blick auf mein Bett. “Susanne” rief sie auf den Flur “hole Dr. Schreiber, er kann den Schein ausfüllen. Es ist soweit!”

“Soll ich seine Frau anrufen”, fragte ihre Kollegin zurück. “Nein, in fünf Minuten wird die ganze Familie ohnehin hier sein. Aber wir stellen noch zwei weitere Stühle ins Zimmer!”

In dem alten Buch steht geschrieben: “Sie werden Gott sehen, wie er wirklich ist, und seinen Namen werden sie auf ihrer Stirn tragen. Dort wird es keine Nacht geben, und man braucht weder Lampen noch das Licht der Sonne. Denn Gott, der Herr, wird ihr Licht sein, und sie werden immer und ewig mit ihm herrschen!” – Es ist gut bereit zu sein. /KDJ

6 Kommentare
  1. Greens

    We also are looking forward to hearing that shout, the voice of the archangel, the sound of the trumpet!
    And with these words we are to encourage one another !

  2. Hermann Achterberg

    Lieber Klaus,
    herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
    Dass es jederzeit für jeden von uns soweit sein kann und wir bereit sein müssen Gott zu begegnen, habe ich ja vor wenigen Wochen bei Euch in Peru persönlich erlebt. Auch wenn es bei mir offensichtlich noch nicht sein sollte (durfte ?) und es mir wieder ziemlich gut geht, ist es eine gute Erfahrung ohne Angst und mit dem tiefen Gefühl der Geborgenheit an der Schwelle des Todes (besser: Lebens) zu stehen.
    Da wir alle irgendwann soweit sein werden (es sei denn Jesus kommt vorher zur Entrückung zurück), gibt es nichts Wichtigeres als bereit zu sein – und bis es soweit ist, wollen wir die Zeit nutzen.

  3. Klaus-Martin Meier

    Hallo Dr John!
    Stimmt das mit dem Tag? Dann Herzlichen Glückwunsch und Gottes reichen Segen zum nächsten Lebensjahr! Wünsche ihnen Kraft und Weisheit für alles, das ansteht!
    LG Klaus-Martin Meier

  4. Jürgen Eisenkolb

    Lieber Klaus,
    ja, so oder auch ganz anders könnte es kommen. Aber wir glauben und wissen, dass uns Gottes Segen an jedem Tag begleitet und Wunder eine ganz normale Realität sind.
    Ich wünsche Dir zum heutigen Geburtstag alles Gute, Gottes Segen und Gesundheit für das neue Lebensjahr.

  5. Elisabeth

    Lieber Dr.John,
    ich kenne Sie und Diospi Suyana seit August. Es war wieder eine der Nächte, in denen es mir schlecht ging und ich nicht schlafen konnte( bin leider Krebspatientin). Da stieß ich auf ” Gott ist sichtbar ” und einen Vortrag irgendwo in Deutschland. Ich war begeistert. Seit diesem Tag, beschäftige ich mich täglich mit Diospi Suyana. Kenne jedes Video , jedes im Internet verfügbare Tagebuch/ Blog eines Mitarbeiters etc.
    Ich war erstaunt, dass auch bei uns ( Ffm) nicht jeder von Ihnen gehört hat. Dennoch – eine meiner besten Freundinnen kannte Ihr Buch.
    Der heutige Text hat mich besonders berührt. Zwar bin ich noch 5 Jahre jünger als Sie, aber ich weiß etwas besser, wovon Sie schreiben.
    Ich wünschte , Sie könnten einmal in unsere Gemeinde kommen. Werde morgen mit unserem Pastor sprechen. Denn wir haben zusätzlich noch eine große lateinamerikanische Tochtergemeinde im Haus.
    Seien Sie wunderbar gesegnet! Sie und Ihre tolle Frau. Und Ihre 3 wunderbaren Kinder.
    Gut, dass Sie geboren sind, wir hätten Sie sonst sehr vermisst! Alles Gute zum Geburtstag!

  6. Dr. Geister

    Lieber Klaus,
    Schön, dass es dich gibt und Du für viele Menschen ein lebensspendender Segen warst und bist und noch lange sein wirst .Happy birthday to you.
    Es war immer schön, mit euch zusammenzuarbeiten und inspiriert zu werden und ein Teil eurer Vision mittragen zu dürfen.
    Wegen eurer Vision haben wir extra Spanisch gelernt , um Patienten verstehen und behandeln zu können.
    Feiere das Leben, die Freude und die Liebe und geniesse jeden einzelnen Tag als Geschenk.
    Liebe Geburtstagsgrüsse aus Denkendorf von Doro und Dr. Dankfried Geister

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