Paola Busch: „Ich hatte immer das Gefühl, es gibt etwas Höheres!“

Eine junge Frau findet ihren Weg durchs Leben

Als der Eiserne Vorhang fiel, reichten die Auswirkungen bis in den fernen Osten der ehemaligen Sowjetunion. In der Kleinstadt Kant im Norden Kirgisistans machten sich Jakob und Margarita Busch reisefertig. Ihre Vorfahren hatten Deutschland verlassen, als Zarin Katharina die Große fleißige Siedler für ihr Riesenreich benötigte. Damals hatten viele Deutsche dem Lockruf des fernen Horizontes nicht widerstehen können. Nun, gut 200 Jahre später schickte sich Familie Busch an in die unbekannte alte Heimat zurückzukehren.

Viel durften sie nicht mitnehmen. Auf dem Arm trug Margarita ihre Tochter Irene, ein knappes halbes Jahr alt. Ihr zweites Kind reifte in jenen schicksalsschweren Wochen in ihrem Bauch heran. Die Strapazen der langen Flugreise aus Asien nach Westeuropa überstanden die Drei gut. Ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft erfüllte sich im Gütersloher Raum, wo die Familie ein neues Zuhause fand. Kaum hatte das Paar die Koffer ausgepackt, da erblickte Paola Busch in Halle, Westfalen das Licht der Welt. Die Geburtsurkunde trägt das Datum 11. Februar 1990.

An all die Unsicherheiten der Umsiedlung kann Paola sich natürlich nicht erinnern. Sie wächst in der Geborgenheit einer intakten Familie heran, als Sandwich-Kind, denn Cornelia, eine kleine Schwester, wird bald die Gemeinschaft vervollständigen. Die Buschs besuchen als überzeugte Christen jeden Sonntag die Gottesdienste einer mennonitischen Gemeinde. Zu den Besonderheiten dieser evangelischen Freikirche zählt ihre starke pazifistische Einstellung, auf Grund derer sie den Kriegsdienst aus Gewissensgründen ablehnen.

Enge Familienbande und religiöse Sozialisierung haben allerdings nichts mit Scheuklappen zu tun. Schon als 14-jährige stellt Paola grundlegende Fragen, die man in dieser Altersgruppe eher selten hört. Gibt es überhaupt eine absolute Wahrheit? Warum eigentlich sollte das Christentum der einzige Weg sein? Über einen Zeitraum von drei Jahren beschäftigt sich die Teenagerin mit den Dokumenten anderer Heilslehren. Sie arbeitet sich durch den Koran, liest hinduistische Schriften und nimmt atheistische Werke zur Hand. Wer vermutet, das Mädchen habe Tiefgang, liegt mit dieser Annahme goldrichtig. Der mühsame Prozess der Wahrheitsfindung kommt schließlich im Sommer 2007 zu einem guten Ende. Auf einer Freizeit ihrer Kirchengemeinde trifft Paola eine Entscheidung, die sie seitdem nie wieder bereut hat: Sie möchte Jesus Christus nachfolgen mit allem, was sie ist und hat.

Eine neue Frage drängt sich auf. Was soll ich in meinem Leben machen? Oder anders ausgedrückt: Hat Gott für mein Leben eine besondere Aufgabe? Die Realschülerin befindet sich kurz vor dem 12. Schuljahr. Paola beginnt um die Führung Gottes zu beten. Ihre Schwestern Irene und Cornelia beten mit und auch ihre Eltern falten Tag für Tag ihre Hände. Viele, die sich Christen nennen, kämen nicht im Entferntesten auf die Idee, Gott bei ihrer eigenen Lebensgestaltung um Wegweisung zu fragen. Doch die Buschs sind aus einem anderen Holz geschnitzt. Gott spielt in ihrem Leben keine untergeordnete Rolle, sondern er führt Regie.

Die Berufung erfolgte an einem Morgen wie aus dem Nichts.

Eines Morgens erwacht Paola aus ihrem Schlaf. Als sie die Augen öffnet, weiß sie genau, was sie werden wird. Physiotherapeutin! Mit diesem Beruf hatte sie sich noch nie beschäftigt. Er war weder in ihrer Familie noch im Freundeskreis jemals ein Thema gewesen. Doch als die Sonne über ihrem Wohnort Steinhagen aufgeht, ist dieser Geistesblitz längst zu einer felsenfesten Überzeugung geworden.

Sie geht die Treppe nach unten in die Küche und strahlt ihre Mutter an: „Mama, ich weiß, was ich machen soll!“ – Seltsam, ihre Mutter lächelt zurück und nickt: „Paola, sagt sie, „ich weiß es auch. Du wirst Physiotherapeutin!“ Zwei Frauen, ein Gedanke, von Gott eingegeben.

Paola ist überglücklich. Im Überschwank der Gefühle schwänzt Paola zum ersten Mal in ihrem Leben die Schule. Sie sitzt also nicht an der Schulbank, sondern zu Hause am Computer und sucht nach Ausbildungsplätzen für Physiotherapeuten. Wow, das ist es. Im nahen Bad Rotenfelde ist noch eine Stelle frei. Ein Anruf und schon ist alles gebongt.

Als sie 2010 ihren Abschluss macht, findet sie sofort einen Arbeitsplatz in einer Praxis. Sie liegt in Steinhaben also in ihrem Wohnort. Hier stimmt alles: Das Berufsklima, die Herausforderung und sogar die Bezahlung. Acht Jahre wird sie dort als Physiotherapeutin ihrer Berufung nachkommen. Und eigentlich könnte sie hier auch zeitlebens bleiben. Nichts zieht Paola in die Ferne. Familie, Beruf und Freundeskreis bilden eine harmonische Einheit.

Doch ohne es zu wissen, werden andere Weichen gestellt. Ihre Schwester Irene besucht am 18. Oktober 2016 an der Fliedner Hochschule in Düsseldorf einen Vortrag. Ein Arzt aus Peru spricht über Diospi Suyana – das Krankenhaus des Glaubens. Irene ist von dieser Geschichte voller Fügungen und Wunder höchst angetan. Als sie den Vortragssaal verlässt, hat sie einen Flyer und eine CD eingepackt. Vielleicht könnte Paola das Material im Rahmen ihres kirchlichen Engagements irgendwann verwenden.

In einem Stapel auf Paolas Schreibtisch finden beide Mitbringsel ihre Ablage. Aus Wochen werden Monate bis im Frühjahr 2017 eine große Aufräumaktion ansteht. Nennen wir es eine Art von Frühjahrsputz. Ausmisten und Lüften. Plötzlich hält sie die CD in der Hand. Soll sie die kleine Scheibe einfach dem Müll anvertrauen? Paola zögert. Fast unwillkürlich legt sie die CD ins Laufwerk um mal kurz den Inhalt zu screenen. Eine Stunde später ist die Physiotherapeutin hellauf begeistert. „Unglaublich, für dieses Werk in den Anden müsste ich mal spenden“, schießt es ihr durch den Kopf. Spenden ist eine feine Sache. Manchmal will man mit einer Überweisung sein Gewissen erleichtern oder sich sogar freikaufen. Motive für finanzielle Zuwendungen sind so zahlreich wie Sand am Meer.

In den nächsten Wochen bemerkt Paola bei sich eine innere Unruhe. Könnte es sein, dass Gott sie für einen Einsatz im Ausland vorgesehen hat?  Und wieder wird das Gebetsteam aktiv. Sozusagen in bewährter Weise. Paola, Irene, Cornelia, Mama und Papa. Nach gut drei Monaten kommt Paola plötzlich eine Erleuchtung: „Gott will nicht mein Geld, er will vielmehr mich!“

Am 16. Juli 2017 schreibt Paola die folgende E-Mail an das Heimatbüro von Diospi Suyana:

„Sehr geehrte Damen und Herren! Schon seit längerer Zeit liegt Ihr Infoblatt über das Hospital in Peru auf meinem Schreibtisch. Seitdem beschäftige ich mich mit dem Gedanken, meine beruflichen Fähigkeiten noch konkreter in Gottes Dienst zu stellen. Im Moment habe ich noch keine endgültige Antwort von Gott, aber wenn es soweit ist, möchte ich bereit sein, den Weg zu gehen. Solange ich mir aber noch nicht sicher bin, möchte ich mich bezüglich des Missionseinsatzes informieren. Welche Voraussetzungen sind gefragt und sollte ich mitbringen?

Am nächsten Tag klingelt das Telefon. Ein gewisser Dr. Klaus John meldet sich am Apparat und die beiden kommen gleich ins Gespräch. „Kennen Sie eigentlich die Bücher über Diospi Suyana“, fragt der Deutsch-Peruaner unvermittelt. „Nein, noch nicht“, antwortet Paola. „Wenn sie die über Amazon bestellen, sind die morgen bei Ihnen. Nach der Lektüre reden wir weiter!“

Für einen guten Tipp ist Paola immer empfänglich. Sie liest in kürzester Zeit „Ich habe Gott gesehen“ und „Gott hat uns gesehen“. Innerlich macht sie einen Luftsprung. Die Bücher machen es sonnenklar, dass der Gott aus alter Zeit heute noch derselbe ist. „Gott“, betet sie, „ich möchte Dich auch so erleben!“ – Am 14. Februar 2018 schickt Paola ihre offizielle Bewerbung an Diospi Suyana.

Hand aufs Herz, eigentlich würde Paola lieber in Deutschland bleiben. Ihr ausgesprochener Familiensinn, die optimalen beruflichen Bedingungen und ihre freundschaftlichen Bindungen wecken in ihr keineswegs das Fernweh. Und so schlägt sie Gott einen Deal vor. „Wenn ich wirklich nach Peru gehen soll“, betet sie, „dann Gott, erfülle bitte drei Bedingungen!” 1. Ich will nicht alleine ausreisen. 2. Ich will nie um Geld betteln müssen und 3. Ich möchte nicht an Heimweh leiden.

Paola Busch: Als Physiotherapeutin und als Reiterin in ihrem Element.

Ist so ein Gebet dreist oder der Ausdruck eines Menschen, der fest mit der Realität Gottes rechnet? Der da oben scheint sich über diese direkte Art der jungen Frau nicht zu ärgern. Innerhalb von zwei Monaten bildet sich ohne viel Tamtam ein Freundeskreis, der Paola für mindestens drei Jahre monatlich mit einem fünfstelligen Betrag unterstützt. So einfach geht das, dabei hat sie nur fünfmal mit einer kurzen PowerPoint-Präsentation von ihrem Vorhaben erzählt.

Als sie am 3. Januar 2019 in Frankfurt ins Flugzeug steigt, ist sie nicht alleine. Die Röntgenassistentin Melanie Friesen sitzt neben ihr. Gemeinsam sind die interkontinentale Reise und die Formalitäten bei der Einwanderungsbehörde überhaupt kein Problem.

“Paola“, frage ich unsere Physiotherapeutin, die schon seit zwei Jahren am Hospital Diospi Suyana mit Elan und Sachverstand arbeitet, „hast Du eigentlich Heimweh?“ – „Nein, Heimweh hat mich nie gequält, ich bin hier am richtigen Platz!“

Ab Ende 2021 möchte sich Paola übrigens in „Reitpädagogik“ ausbilden lassen. „Zwei Stuten habe ich schon gekauft“, erwähnt sie fast beiläufig – Nach einer Pause fragt sie etwas zaghaft: „Wäre die Anwendung von Reitpädagogik bei Diospi Suyana eigentlich möglich?“ – „Aber selbstverständlich“, antworte ich und versuche meine Freude zu verbergen. /KDJ

Ausritt in die Bergwelt. Paola Busch zweite von rechts
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