Das Projekt des Lebens
So hieß am Dienstag das Thema der Elternschule, die wir drei Mal im Jahr anbieten. Die Diospi Suyana Schule hat es sich auf die Fahnen geschrieben, ganzheitlich mit den Schülern zu arbeiten. Die Eltern beeinflussen mit ihrer Lebensausrichtung, ihren Werten und Grenzen das Schicksal der Kinder entscheidend. Wenn es hier an Zielrichtung und Orientierung mangelt, bleibt ein Teil unserer Energie, die wir in die Schüler stecken, im Sand stecken.
Vermutlich haben sich einige der 250 Eltern das erste Mal in ihrem Leben gefragt: Was kann ich eigentlich? Wozu bin ich gut? Was sind meine Talente? Was erträume ich mir vom Leben und welche Ängste halten mich auf?
Die Tochter von Frau Gutierrez * geht seit diesem Jahr an unsere Schule. Die Familie kommt aus einem weit entfernten Dorf und lebt ausschließlich von der Landwirtschaft: Zu Hause sprechen die Familienmitglieder vor allem Quechua. Frau Gutierrez kann nicht schreiben, nur ein bisschen lesen. Auf die Frage nach ihren Talenten antwortet sie selbstbewusst: “Ich kann das Haus sauber halten und die Wäsche waschen. Außerdem kann ich kochen und stricken!” Das sind echte Fähigkeiten in einem Umfeld, wo Waschmaschine, Mikrowelle und Bekleidungsgeschäfte nur selten zur Verfügung stehen. Frau Gutierrez ist sich das bewusst. Sie hat nun eine Basis auf der sie weiter darüber nachdenken kann, was sie sich vom Leben erträumt.
Doch nicht nur Träumen war angesagt. Nein, ganz praktisch haben sich die Eltern überlegt, wie sie kurz- und langfristig ihrer Lebensvision näher kommen wollen.
Es wäre ein tolles Ergebnis, wenn bei diesem Workshop neue Visionen und sogar vergrabene Hoffnungen erblüht sind. Frau Gutierrez jedenfalls wünscht sich von Herzen, dass ihre Tochter einmal eine erfolgreiche Laufbahn einschlagen wird. Dafür möchte sie ihrem Mann den Rücken freihalten, indem sie putzt und kocht. Dann kann er wiederum durch seine Feldarbeit das Geld für die Ausbildung der Tochter verdienen. / Debora Centner (* Name verändert)
