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Saechsische Zeitung
Ein Bericht der ganz anderen Art von Redakteurin Christina Wittig-Tausch

Wenn jemand heutzutage sagt, dass Gott tot ist, schockiert das kaum jemanden mehr. Wenn jemand sagt, dass er unbedingt Gott finden, sehen und erleben will, dann erntet er schiefe Blicke, Stirnrunzeln, gekrauste Nasen, Unbehagen. Oder zumindest Erstaunen. An Gott glauben, na gut. Aber darüber reden und sinnieren mit einer Inbrunst und Intensität, wie es einst die mittelalterlichen Denker oder Mystikerinnen taten?

Klaus John ist diese Reaktionen gewöhnt. Der 55-jährige Chirurg redet viel über Gott. Im Prinzip ist er das ganze Jahr über unterwegs, um zu sprechen. Er leitet ein Missionshospital, das er vor neun Jahren mit seiner Frau Martina im Süden Perus gegründet hat, im Hochland der Anden. Das ist die eine Hälfte des Jahres – die ganzen Verwaltungsangelegenheiten rings um eine Klinik, in der jedes Jahr Zehntausende Menschen behandelt werden. Für umgerechnet 1,30 Euro pro Patient; wer sich dies nicht leisten kann, zahlt nichts. „Weggeschickt wird niemand“, sagt John. „Zumindest von den Ärmeren nicht. Wer mehr bezahlen kann, den verweisen wir an die Privatkliniken in der Hauptstadt Lima oder nach Cusco.“

In den anderen sechs Monaten reist Klaus John in Europa, Amerika und Australien umher. Um Unterstützung für die Klinik zu finden – und neue Mitarbeiter, die hoch qualifiziert und bereit sind, umsonst zu arbeiten. Aber auch, um über Gott zu sprechen. „Was glauben Sie?“, fragt er nahezu jeden, dem er begegnet. Er hat sich darüber mit Christen aller möglichen Glaubensrichtungen unterhalten, mit Buddhisten, Muslimen, Atheisten; mit Bauern aus den Anden genauso wie mit Fließbandarbeitern bei VW oder Konzernchefs. Dieser Tage stellt er die Frage in Sachsen, in Dresden, Schneeberg oder Pirna. Denn in Sachsen gibt es viele Menschen und Gemeinden, die das Projekt „Diospi Suyana“ unterstützen. Der Ausdruck stammt aus der Indio-Sprache Quechua und heißt soviel wie „Vertrauen auf Gott“.

Wenn man Klaus John zuhört, hat man das Gefühl, eine Naturgewalt zu erleben. Er sitzt da mit seinem typischen Arbeitsgerät, einem Computer, auf dem alle möglichen Fotos gespeichert sind. Der Beamer ist auch nicht weit, falls es mehrere Zuhörer gibt. Zu den Bildern erzählt John sachlich und durchstrukturiert, aber in atemberaubenden Tempo. Von seinem Leben in Peru, von den Quechua-Indianern, die oft ohne Perspektive und ohne staatliche Hilfe leben, von zu viel Armut, Gewalt und zu viel Alkohol. Manchmal, sagt John, seien abends die Erwachsenen eines Dorfes alle betrunken. Er erzählt von den Millionen von Hindernissen, die sich auftürmen, wenn man mit nahezu nichts eine Klinik eröffnen und führen möchte in einem Land, das zur sogenannten Dritten Welt zählt. Und Klaus John erzählt von den Gebeten, die er im Laufe vieler Tage und Nächte gesprochen hat. Bei Versammlungen der evangelischen Freikirche, der er angehört. In seiner Wohnung. In Autos, Flugzeugen, bei Bahnfahrten. Oder bei Märschen nachts über Felder zusammen mit seinem Hund, wo er Gott und die Sterne anschrie: Gott, wo bist Du? Bitte zeig Dich!

Schon als Jugendlicher träumte der gebürtige Hesse davon, als Arzt da zu arbeiten, wo Not und Armut herrschen. Verschlang Bücher über Albert Schweitzer oder vom australischen Arzt und Missionar Paul White, der in Tansania lebte. Klaus John studierte zunächst Medizin in Mainz und sehnte sich nach der Welt. Studierte in den USA, arbeitete in Ghana, Großbritannien und Südafrika, machte seinen Facharzt für Chirurgie in Yale und in Berlin. Er hätte sich nun vermutlich eine Stelle in einem deutschen Krankenhaus suchen können. Stattdessen ging er mit seiner Frau, einer Kinderärztin, nach Ecuador. Die beiden arbeiteten an einer Klinik, lernten Spanisch, bekamen drei Kinder. Und beschlossen: Wir bleiben in Südamerika und verwirklichen hier unseren Traum, Menschen ärztlich zu betreuen, die sonst wenig oder keine Hilfe erhalten. In einer eigenen Klinik. Nach einigem Suchen fand sich ein Grundstück, das die katholische Kirche verkaufen wollte. In Curahuasi, einer kleinen Stadt im Süden Perus, 2 650 Meter hoch gelegen und bewohnt vor allem von Indianern, die seit der Eroberung der Spanier vor fast 500 Jahren zu großen Teilen katholisch sind.

Die Johns gründeten mit einigen Mitstreitern 2002 in Thüringen einen Verein, um Geld zu sammeln, und kauften das Grundstück. Wenn John nicht operierte oder sich um die Familie kümmerte, entwarf er das Krankenhaus, einen Finanzplan, Strategien. Ein 100 Seiten starker Wälzer entstand dabei. John brauchte nicht nur ein paar Millionen Euro, um bauen und die Klinik gut ausstatten zu können, sondern auch einen Bauingenieur, vorzugsweise einen mit Erfahrung in Entwicklungsländern, Kraft und Engagement – und der Bereitschaft, ohne Lohn zu arbeiten. „Ein Jahr habe ich gesucht“, sagt John, und die Augen hinter der Brille blitzen. „Ein Jahr, ohne Erfolg. Dann sitze ich mit einem Anwalt zusammen. Er gehörte einem Freundeskreis an, der ein Kinderheim in Brasilien unterstützt. Der Anwalt erzählte, dass zu diesem Kreis ein Bauingenieur zählt, der viele Jahre für einen großen Baukonzern in der ganzen Welt tätig war. Ich sofort: Wie erreiche ich ihn?“

Eine Minute später rief er an bei dem Mann in Hessen, erläuterte sein Anliegen. Es war eine Weile still in der Leitung. Dann sagte die Stimme: „Wo sind Sie? Können Sie zum Abendessen hier sein?“ Klaus John fuhr hin. Die Frau des Bauingenieurs öffnete die Tür und sagte: „Also wissen Sie, wir haben lange überlegt, was wir noch machen aus unserem Leben. Wir haben gebetet, dass uns noch eine Aufgabe begegnen möge. Und in diesem Augenblick riefen Sie an.“ Zufall, sagt der moderne Mensch. Oder der Hamburger Unternehmer, mit dem John neulich diskutierte. „Das ist ein Ergebnis von Glück, Ihren guten Netzwerken und Ihrer sehr großen Hartnäckigkeit“, sagte der Mann. Für Klaus John aber gibt es keine Zufälle, und Jesus und Gott hält er für die eigentlichen Gründer und Architekten des Hospitals.

Der Bauingenieur kam tatsächlich nach Curahuasi mit seiner Frau und betreute den Bau, der 2005 eingeweiht wurde. Er hielt es wie alle der rund 60 Helfer aus Europa oder Nordamerika, die verschiedenen Glaubensrichtungen angehören: Sie suchen sich einen Unterstützerkreis und finanzieren ihren Aufenthalt durch Spenden. Die 150 peruanischen Angestellten erhalten jedoch Lohn. Seit der Eröffnung ist die Klinik unablässig gewachsen. Es gibt neben der Versorgung für akute Fälle und Geburtshilfe auch eine Augenklinik und eine Zahnklinik, Labor, Kirche, inzwischen noch ein Spielplatz, ein Kinderhaus, eine Schule; und das neueste Projekt ist ein eigener Radio- und Fernsehsender.

17,5 Millionen Euro Spenden hat der Verein seit 2002 bei Privatleuten gesammelt, 6,5 Millionen bei Firmen, außerdem Sachspenden – wie etwa einen Computertomographen von der Firma Siemens. Das Notstromaggregat, ungeheuer wichtig in einem Land, wo häufig der Strom ausfällt. Oder die Aufzüge. „Wir hatten nach der Eröffnung nur leere Schächte“, sagt John. Eines Tages im Winter hatte die fünfköpfige Familie Sehnsucht, den Heimaturlaub im Schnee zu verbringen. Über das Internet mieteten Johns eine Wohnung in Eibenstock im Erzgebirge . Der Besitzer hatte jahrelang in der Fahrstuhl-Branche gearbeitet – und stellte den Kontakt zu Firmen her, die die Aufzüge sponserten. Noch eine von den Geschichten, die John mit blitzenden Augen erzählt. Weil es so viele sind und alle seiner Ansicht nach von wundersamen Fügungen zeugen, hat John sie aufgeschrieben und zwei Bücher daraus gemacht („Ich habe Gott gesehen“ und „Gott hat uns gesehen“, Brunnen Verlag, 14,95 Euro).

Für ihn ist die Geschichte von Diospi Suyana eine Geschichte der Hoffnung und eine, die beweist, dass es Gott gibt, das Gute, die Liebe. Und dass es Botschaften gibt, die größer sind als Religionen und menschliche Weltanschauungen. Einmal sprach er bei einem großen peruanischen Unternehmen vor, das Minen betreibt. Der Eigentümer war ein 80-Jähriger, Typ Patriarch der alten Schule, ernst, effektiv. Es war eine dieser Situationen, in denen Klaus John überlegt, ob es nicht manchmal doch besser wäre, nicht auf Gott zu verweisen. John hielt seinen Vortrag dennoch. Der Alte lauschte, ohne das Gesicht zu verziehen. Dann sagte er: „Wissen Sie, ich teile Ihre Weltanschauung nicht. Aber ich helfe Ihnen trotzdem.“ Das Hospital bekam fast 150 000 Euro.

Nicht immer hat Klaus John so viel Erfolg. Manchmal hat er Zweifel, ob das alles so geht und ist, wie er sich das vorstellt. Aber meistens geht es immer weiter, und neue Wege und Möglichkeiten eröffnen sich. Einen langen Atem erfordert auch die allgegenwärtige Korruption in Peru, vor allem für den, der nicht korrupt werden will. Wenn ein Container mit Sachspenden aus unerfindlichen Gründen am Zoll bleibt, ruft John Fernsehsender oder sonstige Medien an. Oder sagt, dass er das tun wird, und dann „kommen die Container irgendwann doch noch bei uns an“.

Klaus John blickt nach zwei Stunden auf die Uhr: Er muss weiter, Richtung Süddeutschland und nach Österreich. Für sein Projekt werben, aber immer auch seine Botschaft verkünden, die „Botschaft der Hoffnung“. Denn was ihm in Europa auffällt, ist die Leere in den Seelen. Alles vorhanden für die Körper, Essen, Urlaubsfahrten, Sport, und dennoch „diese eigentümliche, weit verbreitete Leere, eine Art Kälte und oft kein tieferer Lebenssinn als das Motto ,Geiz ist geil‘. Das bedeutet im Grunde: Nehmen ist wichtiger als geben. Aber wir versuchen, einen anderen Weg zu gehen, und viele Menschen gehen diesen Weg mit: Mehr zu geben als zu nehmen.“

1 Antwort
  1. Uwe Schmiedecke

    Ich kenne eigentlich all diese Geschichten schon – und doch bin ich jedes Mal ergriffen und berührt!
    So auch von dieser hier! Wie kann man da noch zweifeln? All das ist einfach ein Wunder – genau wie viele Wunder zu Jesu Zeiten.

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