Geschichtenerzähler Bruno Spießwinkel

Pfarrer Bruno Spießwinkel hat in der "Geistlichen Gemeinde-Erneuerung" der Evangelischen Kirche viel bewegt. Im November besuchte er für einige Tage das Missionspital Diospi Suyana. Er ist mit seinen 87 Jahren noch immer ein begnadeter Erzähler von persönlichen Erlebnissen.

Im Jahr 1952 wurde Bruno Spießwinkel für sieben Monate wegen einer Uro-Genital-Tuberkulose stationär behandelt. In seinem Buch berichtet er von einer interessanten Begegnung im Spital.

Eine Geschichte aus dieser Zeit ist mir noch Jahrzehnte nachgegangen. Auf unserer Station erschien ein junger Mann als neuer Patient. Er mag 18 Jahre alt gewesen sein. Von der Oberschule verwiesen, hatte er als nächstes seine Lehrstelle abgebrochen. Die Eltern waren geschieden. Überall versuchte er Eindruck zu machen mit dem, was er alles wusste und konnte, und schwindelte dabei das Blaue vom Himmel herab. Mit seiner frechen und überheblichen Art ging er uns oft sehr auf die Nerven.

Eines Tages hätte ich ihm am liebsten eine saftige Ohrfeige verpasst, beherrschte mich aber und knurrte nur voller Ärger: „Mein lieber Freund, wenn Du wüsstest." Er spürte, dass er noch einmal davongekommen war und fragte spöttisch: „Na was denn?" „Das sage ich Dir nicht." „Und bitte, wieso nicht?" „Das kannst Du nicht tragen." „Ich nicht, ich kann alles! Raus mit der Sprache." Ich schüttelte den Kopf: „Nein, ich sage es nicht." „Warum nicht?" „Weil du das nicht ertragen kannst." „Kann ich doch!" – „Kannst du nicht." „Doch!" – Schließlich wollte ich ihm ja auch etwas ganz Besonderes sagen, aber nicht allzu billig. Nach kurzem Zögern erklärte ich: „Also schön, wenn du es unbedingt wissen willst, – ich erzähle es dir, aber nur, wenn wir beide alleine sind, nur unter vier Augen."

Die Zeit der vorgeschriebenen Mittagsruhe war eben vorüber, als er zur Tür hereinschaute: "Kommen sie, auf unserm Zimmer ist niemand." So ging ich mit. Mit Schwung warf er sich auf sein Bett, setzte sich in den Schneidersitz, kreuzte die Arme und grinste mich herausfordernd an: „Bitte!"

Ich sah ihm gerade in die Augen und sagte langsam: „Halte dich fest. Gott hat dich lieb." Die Wirkung dieser wenigen Worte war verblüffend. Das Grinsen erlosch, die Augen wurden nass, seine Lippen zitterten. Die verschränkten Arme lösten sich und seine linke Hand tastete sich zum Herzen. Ein einziges Wort würgte sich geradezu heraus: „M – mich?" Nun war es beinahe mit meiner Fassung geschehen. Das hatte ich nicht erwartet. Ich konnte gerade noch sagen: „Ja, dich!" Dann verließ ich eilig das Zimmer.

Leider sollte ich recht behalten, jedenfalls solange ich dort war. Von Stunde an ging er mir aus dem Weg. Wenn er mich schon von ferne sah, drehte er sich um. er kam nie mehr auf mein Zimmer. Er konnte nicht tragen, was ich ihm gesagt hatte. Aber wieso nicht?

Immer wieder hat mich diese Frage bewegt. Kann es sein, dass ein Mensch instinktiv spürt, dass er sein Leben umstellen müsste, würde die Zusage der Liebe Gottes wahr sein? Hoffentlich konnte er im späteren Leben der Liebeserklärung seines Schöpfers glauben.

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