Eine Lebenserfahrung …

Am Dorfeingang steht ein Zirkuszelt und Florian John wäre kein richtiger Zehnjähriger, wenn er nicht unbedingt der Abendvorstellung beiwohnen wollte.

Um 19 Uhr soll die Show beginnen, aber die Hausaufgaben müssen noch gemacht werden. Papa hat versprochen mitzugehen, also freue auch ich mich auf die Akrobaten, Löwen und lustigen Clowns. Um Viertel vor Acht laufen wir los. Aus dem Zirkuszelt tönt schon laute Musik. Eine Frau am Eingang verkauft uns gelangweilt die Tickets. Pro Person kostet der Spaß 2 Soles, was einem Betrag von 55 Cent entspricht. Wir huschen in das Zelt und entdecken, dass außer uns erst acht Kinder auf den schmalen Holzbrettern sitzen.

Unter der Zeltkuppel spenden vier Glühbirnen ein mattes Licht. Zwei weitere Fassungen haben im Lauf der Woche offensichtlich ihre Lämpchen verloren. Der Zahn der Zeit er nagt überall.

Um 20 Uhr hat sich die Zuschauerzahl auf 15 erhöht und Florian fragt am Eingang nach, wann es denn endlich losgeht mit der Vorstellung. „In fünf Minuten“ lautet die Antwort. Ich ahne schon, dass heute Abend die fünf Minuten etwas länger dauern werden als sonst.

Um 20:20 Uhr muss ein Mitarbeiter erst ein Stromkabel reparieren. Die Musik ist ausgefallen und er hat die Schwachstelle in der Leitung, die zwei Meter von uns entfernt auf den Bänken liegt, tatsächlich gefunden.

Die Zeltplanen sind nicht gut befestig und der Wind reißt immer wieder die Zeltwand nach oben. Dann blasen kalte Windböen über die verwaisten Bänke. Wir sind dankbar für diese Abwechslung, denn das Flattern der Planen kommt schon einem halbwegs interessanten Programm gleich.

Ein kleiner Clown versucht sich mit einigen Kunststückchen. Aber es ist zu dunkel im Zeltrund als dass man die Gags verfolgen könnte. Auf Bitte des Clowns klatscht das Publikum artig und hofft auf weitere Höhepunkte.

Da ist es passiert. Eine der vier Glühbirnen hat soeben ihren Geist aufgegeben. Der Wind ist schuld, warum wackelt er auch so erbarmungslos am Lichtkabel. Das verbleibende Licht reicht aus um die Hand vor den Augen zu sehen. Dem Verlauf der Show tut dies ohnehin keinen Abbruch. Jetzt tanzt ein junges Mädchen im Bikini halbwegs im Takt zu einer rhythmischen Musik.

Drei Freiwillige werden gesucht. Auch Florian steht vorne und muss ein wenig rumhopsen. Weder er, noch ich noch irgendjemand sonst verstehen, was da eigentlich vor sich geht.

Um 21 Uhr haben wir die Pause erreicht und mein Gefühl sagt mir auch, dass ich mich vom Programm etwas erholen muss. „Papa, was war das Beste?“ Die Frage meines Sohnes trifft mich etwas plötzlich. Ich muss nachdenken. Schließlich einigen wir uns auf den kleinen Hund, der über drei Hindernisse gesprungen ist. Der Pinscher war goldig und wir können nur hoffen, dass er für seine Leistung mit etwas Futter rechnen darf.

Soeben hat sich eine weitere Glühbirne verabschiedet. Ich staune, dass zwei Birnen ausreichen, die gegenüber liegende Zeltwand zu erkennen. Der Clown verlässt seine kleine Manege und rückt einige Meter näher an das Publikum heran. Seine spontane Entscheidung ist sicherlich richtig.

Mein kritischer Blick gilt einer der beiden letzten Glühbirnen über uns. Das Licht flackert verdächtig und im Stillen schwöre ich mir, mit Florian das Weite zu suchen sobald auch diese kleine Lampe das Leuchten satt hat.

Doch das Lichtlein ist zäher als ich dachte. Trotzdem machen Florian und ich uns aus dem Staub, weil wieder eine Halbnackte einen Tanz zum Besten gibt.

„In zwei Jahren kann der Zirkus schließen“, meint Florian sachkundig. Ich schüttele den Kopf. Der Zirkus ist am Ende, wenn die beiden letzten Lampen unter der Kuppel ausgebrannt sind – hoffentlich schon bald /KDJ

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