Der Anzug von nirgendwo

Eine feine Garderobe für Palast und Kongress

Montag, der 1. Juni. Steven de Jager und ich brechen in der Nacht auf. Wenn alles klappt, werden wir in 14 Stunden Lima erreichen. Seit der öffentlichen Erklärung meiner Frau Tina und mir am Freitagabend, den 29. Mai, standen unsere Telefone nicht mehr still. Niemand wusste vor einer Woche, was unsere Rede aus unserem Radiostudio auslösen würde. Nach vorsichtigen Schätzungen werden um die 1,5 Millionen Peruaner unsere Webseiten in den sozialen Netzwerken besuchen, das entspricht einem Prozentsatz von fast 5% der Gesamtbevölkerung. Und dann kamen die großen TV-Kanäle hinzu.

Eine Welle der Solidarität von Privatpersonen und Institutionen, Armen und Reichen, schiebt uns seit unserer “Rede an das peruanische Volk” mächtig nach vorne. Und es verleiht uns enormen Rückenwind auf unserer kurzfristig angesetzten Reise nach Lima.

Doch irgendwo in den Bergen fällt mir siedend heiß ein: In all diesem Stress habe ich weder einen Anzug noch eine Kombination eingepackt! Eine echte Panne. Es ist zum Verrücktwerden.

Aus der Stadt Cañete rufe ich am Nachmittag den Kongressabgeordneten Lenin Checco an. “Morgen haben Sie eine Audienz beim Präsidenten des Kongresses (Parlament)!”, weiß er mir zu berichten. “Welche Garderobe brauche ich?”, frage ich in den kleinen Lautsprecher meines Hörers. “Ropa formal – also elegant!”

Ich schaue auf meine verstaubte Jeans und meine Sorgen werden immer größer. In Lima sind alle Bekleidungsgeschäfte wegen der Ausgangssperre verriegelt und verrammelt. Keine Chance mich für die wichtigen Treffen mit den Spitzenpolitikern des Landes korrekt anzukleiden.

Ich wähle die Nummer einer Dame, die mir schon oft aus der Pasche geholfen hat. Sie heisst Doris Manco und ist die Leiterin unseres Medienzentrums.

“Doris, ich brauche einen Anzug, noch heute Abend. Meine Größe ist 1,8 m und mein Gewicht 83 kg!” Das Gespräch dauert keine halbe Minute. Unser Motor heult auf, schon fahren Steven und ich die Panamericana wieder weiter nach Norden. Doris hat ein gutes Herz, das wissen wir, aber Wunder kann auch sie nicht vollbringen.

Zweihundert Kilometer entfernt sitzt Doris am Telefon und wählt. Sie spricht mit zwei, drei und vier Männern aus ihrem erweiterten Freundeskreis in Lima. Alle winken ab. Nein, die entsprechende Größe hat keiner.

Nun schließt Doris ihre Augen und betet: “Gott hilf mir, meinem Chef helfen zu können!” Da kommt ihr von irgendwo ein Gedanke: “Irma Agurto”. Diese Chefsekretärin hat in vergangenen Jahren ihre Liebe zu Diospi Suyana schon oft unter Beweis gestellt. Vielleicht kann Sie etwas tun.

Doris ruft Irma an. Und zehn Minuten später kommt der Rückruf. “Ja, ich habe einen Anzug aufgetrieben. Fernando Gallegos ist 1,80 m groß und wiegt 83 Kg”, verkündet Irma die gute Nachricht, “er besteht sogar darauf, sein gutes Stück persönlich am Gästehaus von Diospi Suyana abzuliefern!”

Fernando Gallegos kenne ich nicht persönlich. Es handelt sich bei diesem Anzug um sein Outfit für Hochzeiten und Beerdigungen.

Als wir um halb sieben am Abend durch die Tür ins Gästehaus treten, hängt am Schrank ein Anzug. Einige gebügelte Hemden sind auch dabei. Sogar Manschettenknöpfe und schwarze Schuhe.  – Unglaublich!

Die Jacke passt hervorragend und sie verdeckt die weiten Hosenbeine. Die Länge stimmt. Jetzt können die Gespräche in Lima beginnen.

Der Premierminister, der Präsident des Kongresses, der Gesundheitsminister, sechs Kongressabgeordnete, Reporter und Journalisten sowie das TV-Publikum von Kanal 5 konnten meinen Anzug bestaunen. Dieser Anzug kam aber nicht von nirgendwo, sondern direkt aus dem Himmel.

Gott kennt für jede Situation eine Lösung. /KDJ

(Legende Rober Villas, Leiter unseres Gästehauses, hält mit großer Genugtuung “meinen Anzug” in die Höhe)

 

2 Kommentare
  1. Olga

    Liebe Geschwister!
    Ich habe nun mitbekommen, dass ihr angesichts der Krise kurz vor der Verstaatlichung standet!
    Das hat euch sicherlich einigen Stress und schlaflose Nächte beschert..
    Offenbar konnte das wegen eurer Kontakte und Ansehens nicht ganz Wirklichkeit werden.
    Wie ist es euch seitdem ergangen, mit der Medikamenten- und Programmumstellung? Hatte das schwerwiegende finanzielle Folgen für euch?
    Könnt ihr vielleicht dazu was veröffentlichen?

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